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Ist die Ernährung unserer Vorfahren sporttauglich?

Ist die Ernährung unserer Vorfahren sporttauglich?

Dass unser moderner Lebensstil längst nicht mehr zu unserem genetischen Erbe passt, erleben nicht nur Trainer und Ernährungsberater in ihrer täglichen Arbeit, sondern belegen auch erschreckende Statistiken: 66% der männlichen und 50,6% der weiblichen deutschen Bevölkerung sind übergewichtig. 15,7% der Deutschen sind sogar adipös (BMI >30). Weltweit hat sich die Verfettung der Menschen in unserer Gesellschaft von 1975 bis 2014 von 3,2 auf 10,8% verdreifacht. Die globale Zahl der Diabetiker stieg im gleichen Zeitraum von 108 auf 422 Millionen Menschen.

Die industrialisierte Welt befindet sich in einer Verfettungsepidemie. Im Vergleich dazu fanden Forscher unter Naturvölkern, die ihren Lebensstil noch weitgehend wie vor 50.000 Jahren pflegen, kaum Übergewicht, Diabetes, Alzheimer und Krebs. Niemand will fett sein. Aber es scheint fast so, als gäbe es kein geeignetes Mittel gegen Nahrungsüberfluss und Bewegungsmangel – obwohl der Markt obskurer Diäten, heilsbringender Ernährungsratgeber und fragwürdiger Abnehmpillen boomt. Man könnte fast meinen: Je mehr Ratschläge sogenannter Experten auf dem Markt kursieren, desto übergewichtiger wird die Nation. Zudem mutiert das Thema „Ernährung“ immer mehr zu einer Ersatzreligion – häufig ohne jeglichen wissenschaftlichen Beleg. Und jetzt kommt mit Paleo eine Ernährungsweise aus längst vergangener Zeit um die Ecke, die nicht nur Pfunde wie Eis an der Sonne schmelzen lassen, sondern auch Zivilisationserkrankungen heilen und die Leistungsfähigkeit von Sportlern steigern soll …


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Ernährungsweise der Jäger und Sammler

Die auch als Steinzeiternährung bekannte Ernährungsform orientiert sich an der unserer Vorfahren, die noch keine industriell gefertigte Nahrung kannten und das verzehrten, was an den Bäumen hing, aus dem Boden kam oder gejagt bzw. gefischt werden konnte. Wirft man einen Blick auf die Menschheitsgeschichte, wird deutlich, dass der Mensch die längste Zeit als Jäger und Sammler verbrachte. Der amerikanische Kardiologe und Paleo-Verfechter James O‘Keefe spricht gar von 99,5% unserer Existenz, in der wir nicht sesshaft waren und uns täglich bewegen mussten, um Nahrungsquellen und Wasserstellen aufzuspüren. Bewegung kam demnach vor der Nahrungsaufnahme. Unsere Vorfahren dürften in der Regel immer erst Energie verbraucht haben, bevor sie ihre Energiereserven wieder auffüllten. Heute ist es exakt umgekehrt. Es wird gegessen bis zum komatösen Büroschlaf, ohne eine einzige Kalorie investiert haben zu müssen.

Nicht angepasst an Fast Food und Schreibtischjob

Erst vor etwa 10.000 Jahren begannen Menschen, Pflanzen anzubauen und Tiere zu domestizieren. Vermutlich war diese Zeit bis zur Erfindung des Kühlschranks 1887 die furchtbarste der Menschheit, denn witterungsbedingte Ernteausfälle, Schädlinge und Epidemien führten zu Hungerperioden, die der Jäger und Sammler in der Steinzeit so nicht kannte. Das belegen Untersuchungen bei Naturvölkern, denn unabhängig vom saisonalen Nahrungsangebot halten Jäger und Sammler ihr Körpergewicht erstaunlich stabil. Wenn man bedenkt, in welch atemberaubenden Tempo sich die Umwelt in den letzten beiden Jahrhunderten durch die Industrialisierung und seit Neuestem durch die Digitalisierung verändert hat, wird einem bewusst, dass wir noch keine Zeit hatten, uns an Fast Food und Schreibtischarbeit anzupassen. Dass wir auch heute noch in erster Linie Bewegungsmenschen sind, zeigen uns wiederum Naturvölker auf, denn Übergewicht ist dort eine absolute Rarität. Sie erfreuen sich sogar einer herausragenden kardiovaskulären Fitness, die mit der der besten Marathonläufer vergleichbar ist.

 

Fisch als wertvoller Nährstofflieferant. Foto: NaturePhotography/shutterstock.com

Fisch als wertvoller Nährstofflieferant. Foto: NaturePhotography/shutterstock.com

Verarbeitete und stark zuckerhaltige Produkte meiden

Loren Cordain, einer der führenden Forscher auf diesem Gebiet, beschreibt die Paleo-Ernährung treffend: „Lose weight and get healthy by eating the foods you were designed to eat.“ Paleo schließt Fleisch, Fisch, Eier, Gemüse, Früchte und Nüsse ein. Hierfür wurden wir als Mensch laut Cordain evolutionär geformt. Paleo vermeidet verarbeitete und stark zuckerhaltige Produkte. Dazu zählen raffinierter Zucker, getreide- und salzhaltige Produkte, Milch und Hülsenfrüchte. Nährstoffe aus paleokonformen Nahrungsmitteln werden effizienter und weniger allergen aufgenommen – sind sie daher optimal für alle, die auf eine hohe physische und psychische Leistungsfähigkeit Wert legen? Ist die Paleo-Ernährung deshalb auch für Leistungs-, Kraft- und Fitnesssportler eine Alternative zur modernen Sporternährung aus der Dose?

Anpassung des Stoffwechsels

Mit einer Ernährungsumstellung nach dem Paleo-Prinzip geht eine Anpassung des Stoffwechsels einher. Durch den Verzicht auf Getreide und raffinierten Zucker wird der Anteil an Kohlenhydraten reduziert. Entsprechend dem Trainingsvolumen und der Intensität der Belastungen müssen bei Paleo zwangsläufig mehr Fette und Eiweiße konsumiert werden. Dieses Makronährstoff-„Tuning“ nimmt einige Wochen in Anspruch, bis der Körper gelernt hat, sich auch bei intensiven Belastungen nicht nur auf seine Kohlenhydratspeicher zu verlassen. Energetische Flexibilität basiert als Teil unserer Genetik auf einem evolutionären Programm. Denn unsere Vorfahren waren darauf angewiesen, in Winter- und Dürrezeiten von Fettdepots zehren zu können. Ein etwas höherer Körperfettanteil ist zwischen den Wettkampf- oder Trainingsphasen daher auch für Sportler gesund. Denn ein niedriges Körperfett dauerhaft zu halten ist purer Stress – vor allem für Frauen, bei denen dadurch der Zyklus aussetzt und die Gebärfähigkeit sinkt. Weibliche Marathonläufer haben nachweislich eine niedrigere Lebenserwartung.

 

Süßigkeiten bestehend aus Trockenobst und Nüssen. Fotos: Ksenija Toyechkina; Igor Palamarchuk/shutterstock.com

Süßigkeiten bestehend aus Trockenobst und Nüssen. Fotos: Ksenija Toyechkina; Igor Palamarchuk/shutterstock.com

Mit Fruktose Fett auf- bzw. abbauen

Fettaufbau funktioniert am effektivsten mit zuckerreichen Früchten, denn Fruktose sorgt für Fettspeicherung. Möchten deine Klienten Fett verlieren, sollten sie nicht nur mehr Eiweiß essen (bis zu 3 g/kg), sondern auch auf fruktosereiche Nahrungsmittel verzichten. Trotz der geringeren Zufuhr an Kohlenhydraten im Vergleich zur typischen westlichen Kost, wird der Paleo-Sportlerkörper durch den Konsum von Obst, Gemüse und in begrenzten Mengen Honig und Süßkartoffeln mit ausreichend Kohlenhydraten versorgt. Die „moderne“ Sporternährung, die immer noch auf Pastapartys und Carboloading schwört, vergisst gerne, dass unsere Leber den Einfachzucker Glukose selbst herstellt. Ohne diesen Mechanismus wären wir längst ausgestorben, denn unsere Vorfahren hatten keinen Müsliriegel in der Schublade, wenn der Blutzuckerspiegel zu niedrig wurde.

Mehr Energie und Leistungsfähigkeit 

Im Gegensatz zur Durchschnittskost ist die Paleo-Ernährung durch eine niedrige glykämische Last gekennzeichnet; diese beschreibt die Kohlenhydratdichte eines Nahrungsmittels. Weißbrot, Nudeln oder Süß- und Backwaren zeigen eine hohe glykämische Last und verursachen folglich hohe Insulinausschüttungen, die Sportler wie Schreibtischtäter zum Nickerchen einladen. Insulin dirigiert den Transport von Zucker aus dem Blut in die Körperzellen. Einem raketenhaften Insulinpush folgt ein schneller Absturz ins Bodenlose. Dieser signalisiert Zuckermangel und leitet Hungersignale ans Gehirn. Die Folge: Heißhungerattacken. Durch den Entzug von Nahrungsmitteln mit hoher glykämischer Last werden solche Attacken, Sugar Cravings genannt, gestoppt, Müdigkeit nach dem Essen reduziert, unnötige Kalorienaufnahme auf Dauer vermieden und das Essverhalten an den natürlichen Rhythmus angepasst. Auf diese Weise gehen nicht nur Sportler mit mehr Energie durch den Tag und durch die Trainingseinheiten, was die Motivation für Bewegung bzw. Leistung erheblich steigert.

 

Kerne, Nüsse und Obst: Nicht nur als Frühstück eine wertvolle Mahlzeit. Fotos: Ksenija Toyechkina; Igor Palamarchuk/shutterstock.com

Kerne, Nüsse und Obst: Nicht nur als Frühstück eine wertvolle Mahlzeit. Fotos: Ksenija Toyechkina; Igor Palamarchuk/shutterstock.com

Bessere Regeneration mit Paleo

Unter dem Strich: Die Paleo-Ernährung führt zu einer Optimierung der Verdauungs- und Stoffwechselprozesse. Deshalb ist sie nicht nur für Übergewichtige und Diabetiker geeignet, sondern auch oder gerade Sportlern zu empfehlen. Verbesserte Flexibilität in der Nutzung zugeführter und gespeicherter Energiequellen steigert die Leistungsfähigkeit und die kognitive Aufmerksamkeit. Leider fokussieren sich Athleten wie Trainer häufig nur auf Training und Wettkampf. Die Nahrungsmittelauswahl und das Nähstofftiming sind aber genauso wichtig. Intensive Belastungen sorgen immer für zerstörte Gewebestrukturen. Erst in der Regenerationsphase kommt es zur Verstärkung von Muskulatur und Bindegewebe. In dieser empfindlichen Phase ist es wichtig, dem Körper die richtigen Baustoffe zur Verfügung zu stellen. Und je größer die Zerstörung (Trainingsintensität), desto mehr Baustoffe (essenzielle Aminosäuren) sind notwendig, sonst drohen mittelfristig Verletzungen und Motivationsverlust. Durch den hohen Eiweißanteil bietet die Paleo-Ernährung eine optimale Basis zur Steigerung und zum Erhalt der Leistungsfähigkeit. Zudem wirken die hohen Mengen an Obst und Gemüse der in Training und Alltag entstehenden Säurelast entgegen. Fazit: Paleo bietet ambitionierten Athleten und Leistungssportlern alles, was es für einen perfekten Fitnesszustand braucht.

 


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Diesen Artikel findest du im Trainer-Magazin 5/16, geschrieben von
Jens Freese | Chefausbilder der Deutschen Trainer Akademie; Experte für Sporternährung und Ernährungsimmunologie; Berater von Spitzenathleten im Fußball, im Tennis und in olympischen Sportarten. Er schrieb seine Doktorarbeit über Paleo und lebt seit zehn Jahren selbst nach den Paleo-Prinzipien.
Simon Schnell | Student an der Deutschen Sporthochschule; Schweizer Meister im Judo. Simon ernährt sich seit drei Jahren nach den Paleo-Prinzipien und konnte seitdem Muskelmasse, Körpergewicht und Explosivkraft erheblich steigern.

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