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Anamnese

Anamnese

Warum Fragenstellen und Zuhören so wichtig ist |

 

Was brauchen deine PT-Kunden wirklich? Und wie können sie selbst testen, ob ihnen ein Training guttut? Luise Walther gibt Einblicke in die Neuroanalyse und zeigt auf, was deine Kunden wirklich weiterbringen kann, statt nur deren physischen Status quo zu messen.

Wie die Bezeichnung „Personal Training“ bereits verrät, geht es dabei um ein personalisiertes Training, bei dem die Individualität des Kunden im Mittelpunkt steht. Viel zu oft sehe ich hier generelle Trainingsroutinen, die zum Teil lieblos den Kunden übergestülpt werden. Dabei bietet gerade das PT so viele Chancen, auf Grundlage der eigenen Expertise und Arbeitsweise individuell mit den Trainierenden zu arbeiten. Jeder Mensch ist einzigartig und jeder, der mit einem Training beginnt, tut dies aus ganz eigenen Motiven und mit eigenen Zielvorstellungen. Daher ist es extrem wichtig herauszufinden, was das Gegenüber eigentlich will, um ein klares Ziel zu definieren. Und um dieses zu erreichen, ist es entscheidend, den aktuellen Status quo zu ermitteln.

STATUSANALYSE

Für eine derartige Statusanalyse gibt es unterschiedliche Möglichkeiten: vom Interview über Fragebögen bis hin zu ausführlicher Analysesoftware. Dabei ist es wichtig, für sich und die Kunden zu definieren, welche Informationen man benötigt, was mit diesen geschieht und wie sie in den Trainingsverlauf miteinbezogen werden können. Denn leider passiert es allzu oft, dass Unmengen an Daten erhoben bzw. abgefragt werden und diese dann nur einen geringen oder im schlimmsten Fall gar keinen Einfluss auf die Trainingsgestaltung haben. Ein in der Branche übliches Screening ist der Functional Movement Screen (FMS). Hierbei werden anhand von sieben Screens die vermeintlich größten Dysfunktionen, Asymmetrien, Inhibierungen oder evtl. Schmerzen festgestellt.
Meiner Meinung nach wird der FMS jedoch oftmals falsch eingesetzt und statt als Screening- als Diagnosetool verstanden. Das Screening gibt aber nur bedingt Aufschluss über individuelle anatomische Gegebenheiten und ist nicht zur Ursachenfindung konzipiert. Es ist eher als Empfehlungssystem zu nutzen und dafür auch geeignet. Da Zeit oftmals der limitierende Faktor bei der Erhebung der Anamnese ist, ist der FMS – gut eingesetzt – ein solides Mittel, um eine schnelle und smarte Entscheidung zu treffen bezüglich der Bewegungskompetenzen eines Menschen.

UMFELDANALYSE

Wie kannst du deine Kunden nun dort abholen, wo sie stehen, und das Training auf deren Alltag ausrichten? Ein meiner Meinung nach unterschätzter Aspekt ist das Umfeld. Es ist notwendig, bei der Anamnese und später in der Trainingsgestaltung die aktuelle Lebenssituation einzubeziehen. Alleinerziehende haben andere Rahmenbedingungen als Spitzensportler, eine Position im Management bedarf anderer Impulse als ein Job an der Kasse, im Orchester oder im Büro. Dabei geht es vor allem auch um die ganzheitliche Betrachtung der körperlichen Leistungsfähigkeit und auch der Alltagsrelevanz. Und das bedeutet die Einbindung von Augen, Gleichgewicht, Bewegung und Atmung schon in die Anamnese und in das Testing – und nicht erst in das Training. Schließlich kann man nur validieren, was man vorab auch gemessen hat. Es gilt also, sich die folgenden Fragen zu stellen: Wo stehen die Trainierenden aktuell? Was wollen sie erreichen und wie schaffen sie das? Je nach Zielstellung kann man dann entscheiden, welche Faktoren getestet werden und worauf man den Fokus richtet.


FUNCTIONAL MOVEMENT SCREEN

Vorteile
  • Viele Informationen über Bewegungsmuster in nur 10 Minuten
  • Einfach zu bestimmender Ausschluss von Beladung
  • Orientierung für Priorisierung der Trainingsansätze: Wo fehlt Mobility, wo Kraft?
Nachteile
  • Keine einheitlichen Bewertungsrichtlinien
  • Keinerlei Aussagekraft hinsichtlich eines Verletzungsrisikos
  • Keine ganzheitliche Betrachtung der bewegungssteuernden Systeme (visuelles, vestibuläres und propriozeptives
    System)
  • Rein biomechanische Perspektive und damit rein Output-fokussiert

DIE SELBSTWIRKSAMKEIT FÖRDERN

Je nach Trainierenden ist es dann wichtig zu besprechen, was die Daten aussagen und wie sie diese gegebenenfalls auch selbst überprüfen können. Denn eigentlich sollten Anamnesen, Testings, Fragebögen und Analysen immer dazu dienen, einen Reflexionsraum zu schaffen, in dem sich die Kunden kritisch und reflektiert mit dem eigenen Körper und dessen Leistungsfähigkeit auseinandersetzen können. Und genau das stärkt die Selbstwirksamkeit der Kunden. Unter „Selbstwirksamkeit“ versteht man die innere Überzeugung, schwierige oder herausfordernde Situationen gut meistern zu können – und zwar aus eigener Kraft heraus. Und sollte nicht genau das im Fokus eines jeden Trainings stehen?
Denn dann dienen die Daten den Personal Trainern nicht nur zur Anamnese, Diagnostik und Trainingssteuerung, sondern generieren zudem auch noch die Befähigung und Ermächtigung der Trainierenden, den eigenen Körper besser zu verstehen und ihm (wieder) zu vertrauen. Und das kann nachhaltig und langfristig zur Stärkung, zur Optimierung oder zumindest zum Ausgleichen der körperlichen Performance führen.


NEUROANALYSE

  • Ausführlicher Test mit Fokus auf Gangbild und Körperhaltung, Atmung, Gleichgewichtssystem und Augen
  • Im Mittelpunkt der Neuroanalyse stehen die ganzheitliche Betrachtung der menschlichen Leistungsfähigkeit und die zentrale Bewegungssteuerung im Gehirn. Die Analyse bindet visuelle, vestibuläre und propriozeptive Reizverarbeitungen ein. Eine ausführliche Erfassung der körperlichen Verfassung bildet die Grundlage für die weiteren Handlungsempfehlungen
  • Ausführliche Interviews, Bewegungsanalyse und Messdaten

ANALOGE UND DIGITALE HILFSMITTEL

Ich persönlich nutze eine Kombination aus analogen und digitalen Hilfsmitteln bei der Anamnese. Aufbauend auf einem anonymisierten Fragebogen, den meine Kunden online ausfüllen, erstelle ich ein Profil, bespreche dann in der ersten Online-Session offene Punkte und gehe im Detail auf bestimmte Antworten ein. Bei dem Livescreening teste ich die Augen, das Gleichgewichtssystem und über eine Ganganalyse die Bewegungsmuster; danach wähle ich je nach Bedarf noch zusätzliche Bewegungen aus, die überprüft werden. Die Atmung lasse ich die Kunden über die Leiteratmung selbst überprüfen. Denn ich will nicht nur wissen, wie die Ausdehnung und Ansteuerung der unterschiedlichen „Etagen“ ist, sondern mir auch ein Bild darüber machen, wie gut die eigene Körperwahrnehmung ausgeprägt ist und wie leicht oder schwer es meinen Klienten fällt, die eigene Atmung und etwaige Unterschiede wahrzunehmen.
Zum Abschluss lasse ich die Probanden sich selbst einmal mit der AIMO-App. scannen. Die Bewegungsanalyse misst mit dem Smartphone die Überkopfkniebeuge und zeigt dann potenzielle Schwachstellen und deren mögliche Ursachen auf. Für meine Kunden ist das eine sehr einfache Möglichkeit, die eigene Körperbewegung anschauen zu können und zu sehen, wie sie bei Bewegungen ausweichen, den Körperschwerpunkt verschieben oder Dysbalancen sichtbar werden. Denn was für mich als Trainerin in Sekundenschnelle erkennbar ist, ist für die Kunden selbst viel schwieriger wahrzunehmen. Hier ist die App eine gute Ergänzung. Selbst mit der kostenfreien Version hat man mit der 2-Minuten-Routine jeden Tag einen Anreiz, sich zu scannen, den eigenen Körper darüber besser kennenzulernen und dann in einer individuell auf dem Scan basierten 2-Minuten-Routine tägliche Bewegungsgewohnheiten aufzubauen.
Mir geht es bei der Analyse darum, Einblicke in den Gesundheitszustand und das Wohlbefinden der Trainierenden zu bekommen und Hinweise darauf zu erhalten, was die Kunden wirklich weiterbringen kann, statt nur deren physischen Status quo zu messen.

FAZIT

Grundsätzlich sollte man sich immer fragen, was und vor allem warum man etwas testet. Das alleinige Sammeln von Daten im Training ohne Auswertung und Bewertung hat keinen nachhaltigen Effekt. Je nach Schwerpunkt und inhaltlicher Ausrichtung ist es empfehlenswert, sich auf bestimmte Werte zu konzentrieren und dann über gezielte Interventionen zu überprüfen, was sich durch das Training verändert. Im Verlauf kann man dann immer mehr in die Detailebene einsteigen und die Trainierenden über die Auswertungen und die Bedeutung der Daten aufklären. So gelingt neben dem Training auch gleich die Edukation; die Trainierenden werden dazu befähigt, eigenverantwortlich ihre Gesundheit und ihr Wohlbefinden mitzugestalten.


LUISE WALTHER

Die Berliner Personal Trainerin arbeitet an der Schnittstelle zwischen Medizin und Fitness. Ihr Schwerpunkt liegt auf der Individualisierung und Professionalisierung von Reha- und Trainingsprozessen mit Fokus auf Schmerzreduzierung und Bewegungsoptimierung ihrer Kunden.
www.neurozentriertestraining.de


Fotos: Dragane Gordic/donkiz – stock.adobe.com, Luise Walther

Dieser Artikel erschien in der TRAINER-Ausgabe 4-2022:

TRAINER-Cover-4-2022

Mehr zum Thema Neuroathletik erfährst du im Buch von Luise Walther:

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