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Bilaterales Training

Bilaterales Training

Bilaterales Training

Wie wirkt es auf Dysbalancen?

Was dominiert in den Trainingsplänen deiner Kunden: unilaterale oder bilaterale Übungen? Yassin Jebrini und Tim Jost analysieren den Einfluss der beiden Trainingsformen auf das zentrale Nervensystem und zeigen, wie du mittels Neuro-Self-Assessments individuelle Empfehlungen für ein optimales Krafttraining ableiten kannst.

Kraftübungen, bei denen beide Körperhälften gleichzeitig dieselbe Bewegung ausführen und dementsprechend simultan arbeiten, stellen die bevorzugte Form des Trainings dar. Überall wird mit der Langhantel gebeugt und gedrückt oder sich an parallel geführten Kraftsportgeräten ausgetobt. Selbst nach Verletzungen versuchen viele Trainer und Therapeuten, den lädierten Bereich ihrer Schützlinge über bilaterales Training wieder an die alte Leistungsstärke heranzuführen. Bewegungen, bei denen beide Körperhälften asymmetrisch belastet werden oder bei denen ausschließlich eine Extremität die Zielbewegung durchführt, wie z. B. Pistols, Boxsteps, seitliche Ausfallschritte oder einarmiges Drücken, finden nur äußerst sporadisch den Weg in die Trainingseinheiten der Fitnessjünger.
Die Auswirkungen, die dieses bilateral-dominante Vorgehen mit sich bringt, sind offensichtlich: Muskuläre Dysbalancen, Schmerzzustände und Beweglichkeitsdefizite plagen weiterhin einen Großteil aller Trainierenden. Diesen Zustand nun allein mit der Art und der Form des Trainings begründen zu wollen, ist natürlich zu kurz gedacht, aber die Entscheidung für bilaterale oder unilaterale Übungen trägt einen wesentlichen Teil dazu bei, ob ein Trainierender langfristig verletzungsfrei bleibt bzw. ob er überhaupt in einen hohen Leistungsbereich vordringen kann. Mit einer von vielen verfestigten Denkweisen, die dem bilateral-dominanten Trainingsparadigma zugrunde liegen, möchten wir in diesem Artikel aufräumen: Bilaterales Training führt nicht – wie leider häufig angenommen – zu einem ausgeglichenen Kraftniveau zwischen beiden Körperhälften und behebt auf Dauer auch keine muskulären Dysbalancen. Die Annahme, dass die vermeintlich schwächere Körperhälfte im Zuge eines bilateralen Trainings mit einer höheren Reizstärke konfrontiert und sich dementsprechend – um die Bewegung überhaupt erst zu ermöglichen – mit der Zeit stärker anpassen wird, ist nicht zutreffend.

DER RAHMEN UNSERER BEWEGUNGSSTEUERUNG

Diese in der Trainingspraxis verwurzelte Denkweise ist falsch, weil bei ihr die neuronalen Grundlagen zur Bewegungssteuerung vernachlässigt werden. Schauen wir uns dazu die Entstehung von Bewegung auf neuronaler Ebene an. Die Hauptaufgabe des zentralen Nervensystems ist immer zuerst das Garantieren unserer unmittelbaren Sicherheit und unseres Überlebens. Diesem Grundsatz wird – außer in akuter Lebensgefahr – alles untergeordnet. Dem zentralen Nervensystem ist es egal, ob du eine 2 kg oder eine 200 kg schwere Hantel über deinen Kopf wuchtest, solange du den Versuch unbeschadet überstehst.
Zur Gewährleistung dieser Sicherheit ist es unabdingbar, dass das zentrale Nervensystem antizipieren und vorhersehen kann, was in naher Zukunft passiert. Dabei agiert unsere höchste steuernde Instanz immer nach demselben Muster: Sie empfängt sensorischen Input aus der Um- und Innenwelt, analysiert und interpretiert diese Informationen und leitet daraus motorische Befehle ab, die über efferente Nervenfasern an die Muskulatur weitergeleitet werden. So kann das Gehirn in Sekundenbruchteilen Bewegungen initiieren, koordinieren und auf Veränderungen reagieren. Je präziser die sensorische Informationslage dabei ist, desto besser gelingt dem zentralen Nervensystem die Prognose der Situation. Eine hohe Informationsqualität aus den Zuliefersystemen – primär dem visuellen, dem vestibulären und dem propriozeptiven System – führt zu mehr Sicherheit in der jeweiligen Situation und Bewegung.

ENTSCHEIDUNG DES NERVENSYSTEMS

Spannend wird es in der differenzierten Betrachtung: Je verschwommener die Informationen aus der einen Körperhälfte oder der einen Extremität sind, desto schlechter kann unser Gehirn die Gesamtsituation des Körpers sowohl bewerten als auch koordinieren und desto schwächer wird das zentrale Nervensystem die Strukturen dieser Körperhälfte belasten. Potenzielle Verletzungen gilt es in jedem Fall zu vermeiden. Sicherheit steht an erster Stelle! Sprich: Deine Kraftdifferenz, die du durch bilaterales Training aufzulösen erhoffst, wird sich mit diesem Vorgehen eher verstärken. Gäbe es hingegen keine Kraftdifferenzen zwischen den beiden Körperhälften, könnte dein zentrales Nervensystem beide Seiten als gleich sicher und entsprechend gleich belastbar einstufen. Wie stark du bist und wie sehr du dich belasten kannst, ist keine Entscheidung deiner bewegungsausführenden Muskeln, sondern immer die Entscheidung deines zentralen Nervensystems!

KOMPENSATIONSMUSTER

Die schwächere Körperseite wird durch unser zentrales Nervensystem bei bilateralen Übungen „geschont“, sodass unsere Kraftdifferenz bei steigendem Kraftniveau zunehmen wird. Wie kommt es aber zustande, dass Kraftsportler die potenziell eine schwächere Seite haben und dennoch allesamt bilateral trainieren, stärker werden?Trotz teils gravierender Kraftunterschiede und muskulärer Dysbalancen zwischen den Körperhälften verantworten insbesondere die effizientere Bewegungsausführung durch einen Anstieg der inter- und intramuskulären Koordination und die Stärkung der vorhandenen Kompensationsstrukturen die Verbesserung der Kraftfähigkeiten. Je größer die Kraftdifferenz ist, desto stärkere Kompensationsmuster entstehen. Kompensationsstrukturen können vor allem dann stark werden, wenn keine größeren technischen Mängel während der Bewegung auftreten und die benachbarten Strukturen entsprechend weiter belastet werden. Unser Körper kann Schwächen in gewissen Ausmaßen überbrücken, aber jede Kompensation hat ihre Grenzen. Kompensationsstrukturen werden nie so effektiv arbeiten wie die eigentlich dafür bestimmten Strukturen. Durch das dauerhafte Belasten der Kompensationsstrukturen, wie es im Rahmen des bilateralen Trainings häufig der Fall ist, steigt das Verletzungsrisiko im Training und Sport immens. Die schwächere Seite wird nicht dauerhaft mithalten können, wenn sie über Jahre vernachlässigt wurde. Durch rein bilaterales Training können Kompensationsstrukturen entstehen, die Kraftanstiege zwar ermöglichen, aber das Verletzungsrisiko auf Dauer erhöhen.

ASSESSMENTS

Welche Trainingsform mit welcher Lastverteilung dein zentrales Nervensystem aktuell als förderlich bewertet, lässt sich anhand von Neuro-Self-Assessments prüfen. Die Ergebnisse der Tests liefern die notwendigen Informationen zur Erstellung von wirkungsvollen Trainingsplänen. Um über den aktuellen Nutzen von bilateralen oder unilateralen Übungen zu urteilen, bieten sich sogenannte Kleinhirntests an, die koordinative Defizite einer Körperseite direkt offenlegen. Diese Tests liefern einen Hinweis darauf, wie gut unser Gehirn die jeweilige Körperseite kontrollieren und koordinieren – ergo sichern – kann. Je schlechter deine Kleinhirntests ausfallen, desto geringer ist die Sicherheit und desto weniger Spannung lässt unser ZNS in der Regel zu. Zeigen sich in diesen Tests beispielsweise zwischen den gleichen Extremitäten große Differenzen, gilt dies als Aufforderung, die schwächere Seite unilateral aufzuarbeiten. Wenn du bereits eine gute Grundlage hast und beide Körperhälften ähnliche Kraft- und Koordinationswerte aufweisen, hast du die Voraussetzungen, um unbedenklich und langfristig auch von bilateralem Training profitieren zu können.

RAPS

Zu den wirkungsvollsten Assessments, die darüber entscheiden, ob du bilateral oder unilateral trainieren solltest, zählen RAPS (rapide Pronations- und Supinationsbewegungen). Dazu streckst du auf Schulterhöhe beide Arme aus und rotierst fortan so schnell du kannst von der Supination in die Pronation und wieder zurück. Diese RAPS werden wahrscheinlich zwischen beiden Seiten und mit der Zeit unterschiedlich kontrolliert und koordiniert ablaufen. Dasselbe Phänomen stellt sich ein, wenn du die Arme nicht auf Schulterhöhe, sondern auf Ellbogenhöhe rotierst.
Ein weiteres Assessment-Verfahren, das Aufschluss über deine Kraft- und Koordinationsdifferenzen geben kann, ist die Rotationsbewegung von der Pronation in die Supination und wieder zurück auf Ebene der Hand. Dazu stellst du dir vor, dass ein Nagel durch die Wurzel deines Mittelfingers geht und du diesen Nagel immer auf der gleichen Stelle der anderen Hand einmal in der Supination und einmal in der Pronation ablegen musst. Im Vergleich zwischen der linken und der rechten Seite erhältst du einen Hinweis darauf, welche Seiten deines Kortex und Kleinhirns in Bezug auf diese Bewegungen besser funktionieren.

TRAININGSIMPLIKATIONEN

Was kannst du also tun, um deine schwächere Körperhälfte zu trainieren, ohne einfach nur „Kompensationsstrukturen“ zu stärken? Ein genauer Fahrplan kann logischerweise nicht aufgelistet werden, da sich die Trainingsziele, der konditionelle Zustand und die Verletzungshistorie jedes Athleten stark unterscheiden. Dennoch können Anregungen gegeben werden, die Berücksichtigung in der Gestaltung eines individuellen Trainingsplans finden sollten. Bereits im Warm-up kannst du sowohl sensorisch als auch motorisch die nicht dominante Seite stärker fokussieren als die dominante Seite. Im Krafttraining selbst kannst du dich – je nachdem, wie stark deine muskulären und koordinativen Dysbalancen ausgeprägt sind – auf die nicht dominante Körperseite konzentrieren und diese sowohl hinsichtlich des Volumens als auch der Intensität mit einem Verhältnis von 3 :1 trainieren. Je mehr sich die Kraftdifferenzen zwischen beiden Körperseiten in der Leistungsentwicklung vermindern, desto stärker kannst du im Laufe dieses Vorgehens zum angestrebten Verhältnis von 1:1 zurückkehren. Sobald dieses Fundament steht, kannst du deine Lasten auch im bilateralen Training progressiv steigern.

VARIABILITÄT

In der Trainingspraxis empfiehlt sich Variabilität. 70 Prozent deiner Ausfallschritte auf der nicht dominanten Seite gegen nur 30 Prozent deiner Ausfallschritte auf der dominanten Seite können ebenso in deinen Übungskatalog einfließen wie unilaterales Bankdrücken mit der Langhantel, bei dem du die Seite der Langhantel, die sich auf deiner nicht dominanten Körperseite befindet, mit schwererem Gewicht belädst als die gegenüberliegende Seite. Dein Vorgehen muss sich auch keineswegs auf rein lineare Bewegungen konzentrieren, sondern sollte zusätzlich unilateral komplexe Rotationsbewegungen einpflegen, da diese Bewegungsformen den Motorkortex und das Kleinhirn besonders stark involvieren. Die Anpassungsleistung dieses Vorgehens wird sich speziell auf koordinativer Ebene zeigen.
In den meisten Fällen finden wir über Assessments heraus, die Trainierenden sechs bis acht Wochen primär unilaterales oder einseitiges Training durchführen sollten, um erst im Anschluss daran einen wirklichen Nutzen aus dem bilateralen Training zu ziehen. In dieser Zeit hat sich die Informationsqualität aus den sensorischen Systemen für die schwächere Körperseite der starken Seite weitestgehend angepasst.

FAZIT

Viele Trainierende glauben, dass sich muskuläre Dysbalancen durch bilaterale Übungen vermindern, da sich die schwächere Seite der stärkeren mit der Zeit anpassen wird. Doch der umgekehrte Fall tritt ein. Da unser zentrales Nervensystem Sicherheit an die erste Stelle stellt, wird es sich auf die sowieso schon stärkere Seite eher verlassen und diese Seite noch mehr belasten. Muskuläre Dysbalancen und unausgeglichene Kraftniveaus verstärken sich. Dieser Umstand bedeutet nicht, dass trotz muskulärer und koordinativer Dysbalancen bei bilateralem Training kein Kraftzuwachs stattfindet. Auch hier kann bei progressivem Training auf Dauer mehr Leistung erbracht werden, allerdings lernt der Körper hierbei primär besser zu kompensieren, da in der weniger sicheren Körperhälfte weniger Spannung erzeugt wird. Kompensationsmuster können sehr stark werden; sie kollabieren allerdings mit der Zeit. In der Trainingspraxis profitieren die meisten Trainierenden von einem unilateralen Training und/oder einer unsymmetrischen Lastverteilung bei bilateralen Übungen, die den Kraftdifferenzen zwischen beiden Körperhälften gerecht werden. Statt sich also zu sehr auf die Langhantel zu konzentrieren, sollte auch der Gang zur Kettlebell oder zur Kurzhantel in Erwägung gezogen werden. Im unilateralen Training ist es zudem häufig förderlich, die beiden Körperhälften mit einer ungleichen Anzahl von Wiederholungen und Sätzen zu trainieren! Wenn beide Seiten dann auf einem vergleichbaren Kraft- und Koordinationsniveau sind, spricht nichts gegen ein bilaterales Training.

 


YASSIN JEBRINI
Der Sportwissenschaftler M.A. und Z-Health-Absolvent arbeitet als Neuroathletiktrainer mit Profi- und Freizeitsportlern. Zusätzlich ist er als Referent tätig und bildet Trainer in Neuroathletik aus. www.jebrini-training.de

TIM JOST
Der Masterstudent an der Deutschen Sporthochschule Köln ist als Buchautor tätig und schreibt für Jebrini Training den Newsletter und die Beiträge auf den Social- Media-Kanälen. www.jebrini-training.de


Fotos: luckybusiness – stock.adobe.com


Diesen sowie weitere Artikel findest du in der TRAINER Ausgabe 03|2021

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