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Blutzuckermonitoring

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Dr. Anne Latz im Interview |

Die Blutzuckerkurve hat einen großen Einfluss auf die Gesundheit und Leistungsfähigkeit von Athleten. Die Ärztin Dr. Anne Latz verrät im Interview, welche Faktoren den Verlauf des Blutzuckerspiegels beeinflussen und was Sportler beachten sollten.

Wie verläuft in der Regel die Blutzuckerkurve beim Menschen und welche Rückschlüsse lassen sich aus dem Verlauf ziehen?
Unser Körper ist ein ausgeklügeltes System und sorgt für ein stabiles Gleichgewicht zwischen der Glukose, umgangssprachlich auch „Zucker“ genannt, die in unseren Blutkreislauf gelangt, und der Glukose, die unseren Blutkreislauf verlässt, um alle unsere 70 Billionen Zellen mit der notwendigen Energie für ein reibungsloses Arbeiten zu versorgen. Der Blutzuckerspiegel variiert von Mensch zu Mensch, ist dynamisch und unterliegt ständigen Veränderungen und Schwankungen. Idealerweise halten wir unseren Blutzuckerspiegel, wenn wir nicht gerade Sport machen, in einem gesunden Bereich von 80 bis 110 mg/dl. Dies ist jedoch nicht so einfach. Da man selbst in der Regel nicht weiß, wie sich der Spiegel gerade verändert und was die Auslöser für sogenannte Spikes – Spitzen – oder Dips – Tiefen – der Blutzuckerkurve sind. Die Reaktion des Blutzuckers auf Ernährung, Bewegung, Stress und andere Lebensstilfaktoren ist sehr individuell. Das bedeutet, dass dasselbe Lebensmittel bei einem Menschen den Blutzucker stark ansteigen lässt, während die Blutzuckerreaktion darauf bei einem anderen ganz anders aussieht.

Wie sollte die ideale Kurve denn aussehen, wenn ich gegessen habe?
Eine häufige Frage, die wir von Nutzern der kontinuierlichen Blutzuckermessung und unserer „Hello Inside App“ erhalten, ist, warum wir den Blutzuckerspiegel in dem gesunden Bereich von 80 bis 110 mg/dl halten sollten und was eigentlich die Form der Kurve – steil, Plateau, M-förmig – aussagt. Nach der Nahrungsaufnahme spiegelt die Glukosekurve die Zeitdauer wider, die Glukose in der Nahrung braucht, um verdaut zu werden. Anders gesagt ist das die Zeit, die die Kohlenhydrate brauchen, um in Glukose abgebaut zu werden. Stärkehaltige Lebensmittel, insbesondere raffinierte Produkte wie Weißbrot, werden leicht aufgespalten und absorbiert; Obst und Gemüse ebenso. Wird zum Frühstück eine Frucht und Weißbrot gegessen, steigt die Kurve eher schnell und steil an. Die Aufspaltung der Kohlenhydrate ist in diesem Fall wenig Arbeit. Neben der Kohlenhydratquelle ist auch die Menge wichtig. Große Mahlzeiten können den Blutzuckerspiegel auf über 180 mg/dl ansteigen und innerhalb von 30 bis 60 Minuten wieder abfallen lassen. Der höchste Punkt wird als Peak bezeichnet. Der erste Teil der Kurve misst, wie steil der Blutzuckeranstieg ist.

Warum ist diese steile Kurve so schlecht für uns?
Weil unser Körper Glukose misst und darauf reagiert. Je schneller die Glukose verdaut wird, also Kohlenhydrate abgebaut werden, desto schneller werden die Zellen die Glukose wahrnehmen, unsere Bauchspeicheldrüse anweisen, Insulin freizusetzen, was zu einer hohen Insulinausschüttung führt. Je mehr Insulin ausgeschüttet wird, desto schneller fällt der Blutzuckerspiegel wieder ab – steiler Abstieg.

Warum ist es schlecht, zu viel Insulin auszuschütten, wenn das den Blutzucker nach unten bringt?
Weil es zu einer sogenannten Hyperglykämie kommen kann und die Zellen langfristig ihre Empfindlichkeit gegenüber Insulin verlieren können – die bekannte Insulinresistenz. Für die Gesundheit gibt es lang- und kurzfristige Folgen. Auch wenn die Blutzuckerspitzen nach einer Mahlzeit nur vorübergehend sind, erhöhen mehrere Spitzen am Tag die generelle Zahl an Glukoseschwankungen. Das verstärkt den oxidativen Stress, die Glykierung, also die „Verzuckerung“, wichtiger Proteine und Lipide im Körper und Entzündungen. Aufgrund der erhöhten Insulinausschüttung tragen steile, spitze Kurven zur Gewichtszunahme bei, da Insulin die Fettspeicherung fördert und somit nicht abgebaut wird. Kurzfristige Auf und Abs sind mit Müdigkeit, Hirnnebel, Energielosigkeit und erneutem Hunger verbunden. Wenn in einem kurzen Zeitraum zu viel Glukose zugeführt wird, kann die Insulinausschüttung der Bauchspeicheldrüse zu hoch sein und zu einer zu starken Blutzuckersenkung, einer reaktiven Hypoglykämie, führen. Diese hat einen erhöhten Heißhunger und Stimmungsschwankungen zur Folge. Außerdem verringern wiederkehrende Hypoglykämien die Effizienz des Kontrollmechanismus, der den Blutzuckerspiegel wieder auf den normalen Ausgangswert anhebt.

Wie viel Spikes sind normal?
Allgemein gilt: Je flacher auf- und absteigend, desto besser. Und je weniger Spikes, desto besser. Neben der Nahrungsaufnahme können Spikes aber auch durch andere Faktoren wie Stress oder körperliche Aktivität verursacht werden. Der einzige Fall, in dem ein Spike in Ordnung ist, ist beim Sport. Eine hohe Trainingsintensität führt zu einem Glukosespike, da neben anderen Vorteilen des Sports auch Signale aktiviert werden, die dem Körper helfen, den Blutzuckeranstieg zu bewältigen.

Welche weiteren Faktoren wirken auf den Verlauf des Blutzuckers?
Wir stürzen uns immer auf die Ernährung, da sie der emotionalste und auch naheliegendste Einflussfaktor auf unseren Körper ist. Sie beeinflusst unseren Blutzuckerspiegel, da sie direkt und indirekt an unserem Energiestoffwechsel beteiligt ist. Unsere gesamten Inhalte bei Hello Inside und in unseren Programmen fußen jedoch auf dem Konzept der Lebensstilmedizin, bei dem die Säulen Ernährung, Bewegung, Stressmanagement und Schlaf bzw. zirkadiane Rhythmik sowie deren Interaktion betrachtet werden. Zudem ist das ausreichende Trinken von Wasser wichtig, um unseren Blutzuckerspiegel in gesunden Grenzen zu halten, die Nierenfunktion zu bewahren und so überschüssige Glukose über den Urin auszuscheiden.

Körperliche Aktivität erhöht die Insulinempfindlichkeit. Durch eine erhöhte Insulinempfindlichkeit können unsere Zellen die verfügbare Glukose im Blut leichter aufnehmen. Zudem regt die körperliche Aktivität unsere Muskeln an, den Blutzucker zur Energiegewinnung und Muskelkontraktion zu nutzen. Die genaue Auswirkung körperlicher Aktivität auf unseren Blutzuckerspiegel hängt wiederum davon ab, wie lange und wie intensiv die Übung durchgeführt wird.

Stress erhöht den Glukagon- und Cortisolspiegel. Diese Hormone lassen den Blutzuckerspiegel in die Höhe schnellen. Physiologisch macht das total Sinn: Unser Körper will für die Flucht und Alarmbereitschaft in Bedrohungssituationen – und nichts anderes ist Stress – Energie zur Verfügung stellen. Und das sieht man in der Kurve. Problematisch wird es, wenn der Stress dauerhaft ist. Dadurch kann sich unser Nüchternwert dauerhaft erhöhen und beeinflusst dabei auch die Reaktionen des restlichen Tages. Vermeidbare Stressoren wie ein zu schriller Weckerton sollte man ganz eliminieren.

Das führt auch schon zur Säule Schlaf und Erholung: Schlechte Schlafqualität und -quantität führen zu einer Dysregulation des Blutzuckerspiegels und senken die Insulinempfindlichkeit. Langfristiger Schlafmangel erhöht zudem den Spiegel der Stresshormone. Späte und kohlenhydratreiche Mahlzeiten können den Schlaf stören. Die Stellhebel greifen also wunderbar Hand in Hand und bieten viele Möglichkeiten für kleine Verbesserungen im Alltag. Wir empfehlen stets mit der „lowest hanging fruit“ zu beginnen. Wenn das Fundament aus Ernährung, Bewegung, Schlaf- und Stressmanagement steht, kann man sich auch dem Thema „Hormone und weiblicher Zyklus“ oder weiterer Biohacks wie Kälte- und Wärmereizen annehmen.

Wie wirkt Sport auf den Blutzucker?
Intensives Kraft- als auch Cardiotraining können den Blutzuckerspiegel nach dem Training ansteigen lassen. Im Allgemeinen führt intensives Training dazu, dass Stresshormone wie Adrenalin produziert werden. Adrenalin erhöht den Blutzuckerspiegel, indem es die Leber zur Freisetzung von Glukose anregt. Der relative Beitrag von Glukose und Fett während des Trainings zum Gesamtkörperstoffwechsel hängt von verschiedenen Faktoren ab, wie der Intensität der Belastung, der Dauer der Belastung, dem Trainingszustand bzw. der Art des Trainings und der zuvor aufgenommenen Nahrung. Bei leichter bis moderater körperlicher Betätigung wird immer mehr Fett verwendet, bis es bis zu 80 Prozent des gesamten Kalorienverbrauchs ausmacht. Der relative Beitrag von Fett zum Stoffwechsel ist jedoch geringer und der von Glukose größer, wenn die Trainingsintensität zunimmt. Das bedeutet, dass der Körper bei leichtem bis mäßigem Training, wie z. B. moderatem Laufen, Fett als Hauptbrennstoff verwendet, der Blutzuckerspiegel relativ stabil bleibt – und das erklärt, warum wir nach einer lockeren Laufeinheit eher hungrig sind als nach einem intensiven, knackigen Workout. Wird dieses moderate Laufen verlängert oder die Intensität erhöht, verlagert sich die Brennstoffpräferenz auf Glukose und wir können in unserem Blutzuckerspiegel eine Belastungsspitze erkennen.

Welche Hinweise ergeben sich aus den Blutzuckerwerten für ein erfolgreiches Training?
Spikes sind nicht negativ, wenn wir über Sport und Stoffwechsel sprechen! Warum? Bei sportlicher Betätigung produziert unser Körper während der Muskelkontraktionen Myokine. Diese erhöhen unter anderem die Insulinsensitivität, verbessern dadurch die Glukoseverwertung und regulieren den Glukose- und Fettstoffwechsel. Dies hilft dabei, Spikes während und nach dem Sport zu bewältigen. Der Einsatz der Muskeln durch sportliche Betätigung fördert die Verbrennung von Glukose und verbessert die Funktionsweise des Insulins. Beim Sport muss man eher die Senkungen, die Dips, beachten. Ein niedriger Blutzuckerspiegel kann die Verfügbarkeit von Energie vor allem bei hochintensivem und lang andauerndem Training beeinträchtigen. Darüber hinaus kann ein niedriger Glukosespiegel während des Trainings, die Konzentrationsfähigkeit und den Muskeltonus beeinträchtigen. Jeder niedrige Glukosespiegel – unter 80 mg/dl – kann dies zur Folge haben.

Wie kann man die Blutzuckerstabilisierung konkret im Alltag umsetzen?
Ein guter Ausgangspunkt ist eine kontinuierliche Glukosemessung mit einem CGM über 14 oder 28 Tage, um die individuelle Reaktion, Baseline und Glukosekurve kennenzulernen. Ich habe auch noch ein paar allgemeine Tipps:

  • Smart Carbs wählen: Die Wahl von Lebensmitteln, die reich an Ballaststoffen und ohne Zuckerzusatz sind, trägt dazu bei, dass der Blutzuckerspiegel langsamer ansteigt und weniger Insulin ausgeschüttet wird, was wiederum die Fettbildung verringert.
  • Kohlenhydrate verkleiden: Kohlenhydrate mit Proteinen und einer kleinen Anzahl von gesunden Fetten zu mischen, sorgt für einen langsameren Blutzuckeranstieg.
  • Ausreichend schlafen: Schlafmangel führt zu einem Anstieg des Blutzuckerspiegels und damit zu einer verstärkten Insulinausschüttung.
  • Frühes Abendessen: Im Normalfall verbrennen wir unser Fett im Schlaf, denn zu diesem Zeitpunkt ist unser Insulinspiegel niedrig, es sei denn, wir überfordern unseren Körper mit Nahrung, insbesondere mit einfachen Kohlenhydraten und Zucker. Damit verpassen wir eine wichtige Gelegenheit zur Fettverbrennung.

Gibt es Erfahrungen, wie sich ein Intervallfasten auf die Blutzuckerkurve auswirkt?
Während des Fastens werden Fette – Triglyceride – zu Fettsäuren und Glycerin abgebaut, die zur Energiegewinnung genutzt werden. Die Leber wandelt die Fette in Ketonkörper um, die eine wichtige Energiequelle für viele Gewebe, insbesondere das Gehirn, darstellen. Die Stoffwechselumstellung von der Verwendung von Glukose als Energiequelle auf die Verwendung von Fettsäuren und Ketonkörpern führt zu einer größeren metabolischen Flexibilität, also zur Fähigkeit, zwischen der Energieverfügbarkeit zu wechseln, und Effizienz der Energieproduktion aus Fetten und Ketonkörpern.

Zusammen mit einer ausgewogenen Ernährung können Strategien zum Intervallfasten positive gesundheitliche Auswirkungen haben. Dazu zählen zum Beispiel Gewichtsreduktion, erhöhte Insulinsensitivität, geringere Entzündung, verbesserte metabolische Flexibilität. Obwohl Fasten langfristig Vorteile für unseren Blutzucker haben kann, kann es unseren Blutzucker akut negativ beeinflussen. Viele Menschen haben während des Fastens einen niedrigen Blutzuckerspiegel. Dieser kann zu Müdigkeit, Energiemangel, Reizbarkeit und anderen Stimmungsschwankungen, Kopfschmerzen und Schwindel, Hunger und Heißhunger führen.

Wie wirkt sich bei Frauen der Zyklus auf die Blutzuckerwerte aus?
Das ist ein spannendes Thema, bei dem wir noch mitten in der Forschung stecken. Bei Frauen sind Fortpflanzung und Energiestoffwechsel eng miteinander verbunden und werden wechselseitig reguliert. Das Gewicht, die Körperzusammensetzung – Fettspeicherung und -verteilung –, die Körpertemperatur und der Energiebedarf werden maßgeblich von den weiblichen Steroidhormonen reguliert. Unter normalen Bedingungen schwanken die weiblichen Hormone während des Menstruationszyklus und wirken auf den Energiehaushalt ein. In diesem Zusammenhang ist Blutglukose von zentraler Bedeutung. Wenn wir über die Auswirkungen des Menstruationszyklus auf den Blutzuckerspiegel sprechen, müssen wir zunächst die Auswirkungen der wichtigsten weiblichen Hormone auf den Blutzuckerspiegel verstehen. Der weibliche Zyklus wird durch die Veränderung der Hormonkonzentration, vor allem von Östrogen und Progesteron, gekennzeichnet.

Östrogen ist als blutzuckerfreundliches Hormon bekannt. Wenn das Östrogen/Progesteron-Verhältnis zum Anteil der Östrogene begünstigt ist, werden Prozesse wie die Insulinempfindlichkeit und die Glukoseaufnahme aus dem Blut in die Zelle gefördert. Dieses Östrogen/Progesteron- Verhältnis ist typisch in der follikulären Phase, der ersten Hälfte des Menstruationszyklus. In der Lutealphase, der zweiten Hälfte des Menstruationszyklus, verschiebt sich das Verhältnis zwischen Östrogen und Progesteron, wobei das Progesteron seinen Höhepunkt erreicht. Diese hormonelle Verschiebung macht die Körperzellen widerstandsfähiger gegen die Wirkung von Insulin. Dadurch kann mehr Glukose im Blutkreislauf verbleiben, was zu einem Anstieg des Blutzuckerspiegels führt. Infolgedessen kommt es in der Lutealphase häufiger zu erhöhten Blutzuckerkonzentrationen im Vergleich zur ersten Hälfte des Menstruationszyklus, der Follikularphase. Bei gesunden Frauen können hohe Blutzuckerwerte zu Veränderungen im Körper beitragen, die während des gesamten Menstruationszyklus einen Einfluss auf die allgemeine Gesundheit haben und während der Lutealphase zunehmen, wodurch PMS-Symptome zunehmen können.


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DR. ANNE LATZ

Die Ärztin mit einem M. Sc. in Betriebswirtschaftslehre und einem Doktortitel in Neurowissenschaften ist Mitgründerin und Chief Medical Officer beim Scientific- Self-Care-Start-up HELLO INSIDE.“
www.helloinside.com


Fotos: ivector – stock.adobe.com, Dr. Anne Latz

Dieser Artikel ist aus der TRAINER-Ausgabe 1-2023:

1-2023-Trainer Cover

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