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Cortisol

Cortisol

Wie beeinflusst es die sportliche Leistung?

Cortisol ist in erster Linie als Stresshormon bekannt. Prof. Dr. Jana Strahler erklärt, wie sich das Hormon auf die sportliche Leistungsfähigkeit sowie unser Ernährungsverhalten auswirkt und welche Möglichkeiten es gibt, den Cortisolspiegel zu senken.

Verschiedene Hormone sind an der Regulierung unseres Energieniveaus und damit unserer Leistungsfähigkeit beteiligt. Neben Testosteron gilt Cortisol, das wichtigste menschliche Stresshormon, als essenziell für die Bereitstellung von Energie, die Regulation kognitiver Funktionen und die Funktion des Immunsystems. Cortisol wird vor allem in Stresssituationen vom Körper freigesetzt – so auch bei intensiven Trainingseinheiten oder im Wettkampf. Je nach Zeitpunkt und Ausmaß der Ausschüttung in den Blutkreislauf kann Cortisol Körperfunktionen verbessern oder verschlechtern. Bei den Folgen gilt es neben der adaptiven Bedeutung des akuten Anstiegs der Cortisolkonzentration im Blut die Konsequenzen eines dauerhaft erhöhten Cortisolspiegels zu berücksichtigen.

CORTISOL IM BLUT UND SPEICHEL

Cortisol wird über einen Regelkreis, die sogenannte Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden- Achse gesteuert und unter aktutem Stress vermehrt ausgeschüttet. Es ist ein kataboles Hormon, das sowohl eine Hemmung der Proteinbiosynthese bewirkt als auch den Proteinabbau in Muskeln, Knochen und dem lymphatischen Gewebe fördert (Proteolyse). Diese Prozesse führen zu einer erhöhten Abgabe freier Aminosäuren ins Blut, die wiederum in der Leber zur Neubildung von Glukose eingesetzt werden. Cortisol hat außerdem einen immunsuppressiven Effekt; es hemmt beispielsweise die Bildung bestimmter Zytokine und gilt damit als wichtiger Entzündungshemmer.
Etwa 90–95 Prozent des Cortisols sind im Blut an Transcortin und Albumin gebunden, wobei lediglich das freie, nicht gebundene Cortisol als biologisch aktiv angesehen wird. Seit den 1990er-Jahren hat sich vor allem in der Stressforschung die Messung des Speichelcortisols etabliert. Cortisol gelangt innerhalb von ein bis zwei Minuten durch passive Diffusion vom Blut in den Speichel. Speichelcortisol korreliert dabei stark mit dem freien, ungebundenen Cortisol im Blut. Die Korrelation mit dem totalen Blutcortisol ist deutlich geringer. Auch unter Ruhebedingungen ist die Cortisolkonzentration nicht stabil. Neben saisonalen Schwankungen ist der zirkadiane Rhythmus mit maximalen Werten in den frühen Morgenstunden und einem Minimum um Mitternacht relevant. Hormonelle Veränderungen in der Pubertät, die Einnahme hormoneller Kontrazeptiva, Hormonersatztherapien oder Schwangerschaft beeinflussen teilweise deutlich die Cortisolkonzentration. Auch unser Lebens- und Ernährungsstil, Rauchen, Alkoholkonsum, Mundhygiene, Schlaf sowie körperliche Aktivität und Fitness beeinflussen den Cortisolspiegel. Diese Zusammenhänge sind allerdings keine Einbahnstraße. So steuert Cortisol wiederum Schlafprozesse, wie z. B. die Dauer des REM-Schlafes.

CORTISOL UND STRESS

Zunächst ist Stress bzw. unsere Reaktion darauf absolut adaptiv und überlebenswichtig. Unter akutem Stress, wie z. B. bei einem Bewerbungsgespräch, bereitet die psychobiologische Stressreaktion optimal auf die sogenannte Kampf- oder Fluchtreaktion vor: Der Körper setzt Neurotransmitter und Hormone frei, die die Herzfrequenz erhöhen, eine schnelle, flache Atmung bewirken, die Blutgefäße verengen, die die Verdauungsorgane versorgen, und die Muskeln straffen. Bezüglich der Aktivität des Immunsystems weiß man, dass bei akutem Stress die unspezifische Abwehr, d. h. der Schutz durch Haut, Schleimhäute, Abwehrzellen und Eiweiße, gestärkt wird, während die spezifische Abwehr, also die durch T- und B-Lymphozyten sowie Antikörper, kurzfristig zurückgefahren wird. Auch weitere energieintensive Prozesse wie die Verdauung und Fortpflanzung werden kurzfristig gehemmt. Diese Reaktion wird in den ersten Sekunden bis Minuten durch das schnell reagible autonome Nervensystem mit der Freisetzung von Adrenalin und Noradrenalin aus den sympathischen Nervenendigungen und dem Nebennierenmark gesteuert. Die etwas langsamere und verzögerte Reaktion der Cortisol-Stressachse mit ihrem Endprodukt, dem Stresshormon Cortisol, koordiniert in der Folge die Reaktion als auch deren Beendigung.
Warum wird Stress nun aber so negativ gesehen? Wenn Stress nicht nur von kurzer Dauer ist oder keine ausreichende Erholung stattfindet, kann das eigentlich Adaptive der Stressreaktion negative Folgen haben. Chronischer Stress ohne die biologische Umsetzung und Verwertung der erhöhten Stresshormone kann in einem dauerhaften Anstieg des Cortisols resultieren. Die Folgen von unbehandeltem chronischem Stress reichen von Schlaflosigkeit über Konzentrationsprobleme, Angstzustände und Gereiztheit, Muskelschmerzen und Bluthochdruck bis hin zu einem geschwächten Immunsystem.

CORTISOL UND SPORTLICHE AKTIVITÄT

Dass regelmäßige Bewegung und Sport positive Effekte auf unser Herz-Kreislauf-System, auf die metabolischen Systeme und das Immunsystem haben, ist sehr gut dokumentiert. Chronische Erkrankungen zeigen einen positiveren Verlauf und schon eine einzige Bewegungseinheit kann angstlösend und stimmungsaufhellend wirken. Diese gesundheitlichen Effekte werden dabei der stresspuffernden Wirkung von regelmäßiger körperlich-sportlicher Aktivität zugeschrieben. Eine Annahme zum zugrunde liegenden physiologischen Mechanismus ist in der Cross-Stressor- Adaptations-Hypothese beschrieben. Demnach ruft körperlicher Stress (z. B. intensives Training) eine Stressreaktion hervor, die mit der Reaktion auf psychosozialen Stress vergleichbar ist. Die notwendige Intensität und Dauer einer Sporteinheit, um einen Cortisolanstieg hervorzurufen, liegt bei mindestens 60 Prozent der maximalen Sauerstoffaufnahme (VO2max) und etwa 40 Minuten Aktivität. Längere Trainings stimulieren auch bei geringerer Intensität die Cortisolproduktion. Der Cortisolanstieg korreliert dabei mit dem Anstieg des Blutlaktats. Nach der Cross-Stressor-Adaptations- Hypothese führt regelmäßiges Training dann zu einer Anpassungsreaktion innerhalb der physiologischen Stresssysteme, von der angenommen wird, dass sie sich auch auf andere Stressoren, wie z. B. psychosoziale oder kognitive, überträgt. Im Laufe der Zeit zeigen belastungsangepasste Athleten geringere Cortisolreaktionen. Fragebogenbasierte Studien bestätigen die angenommene erhöhte Stressresilienz bei regelmäßig sportlich Aktiven. Ebenso zeigen hochkontrollierte Laborstudien eine geringere bzw. optimalere Cortisol- und Herzratenreaktion auf psychosozialen Stress bei sportlich Aktiven im Vergleich zu inaktiven Personen. Dabei unterscheidet sich nicht zwingend die maximale Stressreaktion, sondern vor allem die verbesserte Erholungsfähigkeit bei Aktiven. Was aktuelle Studien noch nicht klären konnten, ist, welches Volumen, welche Frequenz und welcher Typ an Sport notwendig ist, um diese stresspuffernde Wirkung zu erzielen. CORTISOL UND ÜBERTRAINING Neben diesen gesundheitlich positiven Effekten von Sport werden ein hoher Trainingsumfang und vor allem Wettkampfsport mit vermehrtem Stresserleben und erhöhten Cortisolwerten im Zusammenhang gesehen, die wiederum die (sportliche) Leistungsfähigkeit beeinträchtigen können. Ob generell Kraft- oder Ausdauertraining die stärkeren Cortisolanstiege bewirkt, lässt sich nicht pauschal sagen. Die trainingsbedingte Cortisolreaktion variiert in Abhängigkeit von der Art und Intensität des Trainings, des Fitnesslevels, des Ernährungszustands und des Stressniveaus der Person. Allerdings zeigt sich, dass vor allem intensiver Ausdauersport während zum Beispiel der Saisonvorbereitung in den Teamsportarten oder in der Vorbereitung auf einen Triathlon oder Marathon bei fehlender ausreichender Erholung den Cortisolspiegel dauerhaft erhöhen kann.
Wenn Sportler dauerhaft zu intensiv und/oder zu häufig trainieren und/oder keine ausreichenden Regenerationsphasen zwischen den Trainingseinheiten einhalten, kann eine chronische Überlastungsreaktion entstehen – das sogenannte Übertrainingssyndrom. Dieses Syndrom beschreibt einen Leistungsabfall und subjektive Beschwerden, für die bisher keine organische Ursache beschrieben
wurde.
Besonders risikobehaftet sind anaerobe Belastungen wie zum Beispiel Tempoläufe, ein chronisch zu intensives Ausdauertraining und eine zu hohe Wettkampftätigkeit. Typische Symptome sind eine hohe wahrgenommene Erschöpfung, die Unfähigkeit, sich zu entspannen, eine geringe Ausdauer, eine verminderte Widerstandskraft gegen Krankheiten, eine erhöhte Verletzungsanfälligkeit, aber eben auch hormonelle Störungen wie erhöhte Cortisolspiegel bei gleichzeitig erniedrigten Testosteronwerten oder bei Frauen eine Veränderung des Menstruationszyklus. Ein biologischer Mechanismus könnte auch in der Aktivität pro- und antiinflammatorischer Prozesse liegen. Während mäßig betriebener Sport einen antiinflammatorischen Zustand fördert, begünstigen intensive und lange Trainingsperioden einen proinflammatorischen Zustand. Gleichzeitig kann eine dysfunktionale und unangemessene Reaktion des adaptiven Immunsystems vermehrt Erkältungskrankheiten und Erkrankungen der oberen Atemwege bedingen.

CORTISOL, ERNÄHRUNG UND GEWICHTSREGULATION

Das Stresshormon Cortisol mobilisiert durch die oben beschriebenen Prozesse der Lipolyse und Glukoneogenese Zucker im Stoffwechsel, sodass der Körper schnell Energie bekommt. Wird diese Energie nicht verbraucht durch z. B. Muskelaktivität, wird der Zucker zu Fett umgewandelt und als tiefliegendes Bauchfett abgespeichert. In der Folge können chronische Entzündungsprozesse entstehen – ein Risikofaktor für Erkrankungen des kardiovaskulären Systems, für Krebserkrankungen oder auch Depressionen. Außerdem steuert Cortisol weitere Prozesse, die sich auf das Essverhalten auswirken. Cortisol regt durch die Förderung der Wirkung des Hormons Ghrelin den Appetit an und dämpft durch die Hemmung des Hormons Leptin die Sättigung. Durch die oben beschriebene Proteolyse und die Hemmung der Proteinbiosynthese führt ein dauerhaft erhöhter Cortisolspiegel außerdem zu einem Muskelabbau; die Muskulatur verbrennt so weniger Kalorien. Ein weiterer Mechanismus, wie chronischer Stress zu einer Gewichtszunahme führen kann, ist die Veränderung der Darmflora. Bakterien, die mehr Energie aus der Nahrung gewinnen, nehmen zu und können so bewirken, dass mehr Fett eingelagert wird.

DEN CORTISOLSPIEGEL MESSEN?

Cortisol im Speichel ist leicht zu erheben und eignet sich als labordiagnostischer Marker, da er verlässlich das freie, biologisch aktive Cortisol im Blut abbildet. Dementsprechend gibt es auch einige kommerzielle Anbieter von Speichelcortisoltests. Tests, die auf lediglich einer einzigen Probennahme beruhen, sind aufgrund der starken tageszeitlichen Rhythmik nicht zu interpretieren. Als zuverlässiger gelten Tests, die ein vollständiges Tagesprofil erheben, d. h. mehrere Messzeitpunkte über den Tag verteilt. Aber auch hier muss bei der Interpretation einiges bedacht werden. Zum einen gibt es Befunde, nach denen sich bei ungefähr einem Sechstel der untersuchten gesunden Personen kein typisches Tagesprofil zeigt. Darüber hinaus schwankt die Cortisolkonzentration zwischen verschiedenen Tagen auch bei Gesunden teilweise extrem auch aufgrund der mannigfaltigen Einflussfaktoren auf dieses Stresshormon. In der Stressforschung etabliert sich in den letzten Jahren eine nichtinvasive Alternative zur Bestimmung von Cortisol im Speichel: Haarcortisol. Haare als Substrat für die Messung von Drogen, Toxinen oder Umweltstoffen haben eine lange Historie. Die Bestimmung von Haarcortisol zur Messung von chronischem Stress datiert auf die frühen 2000er-Jahre und setzt sich als Marker für die kumulierte Aktivität der Hypothalamus- Hypophysen-Nebennierenrinden- Achse immer mehr durch. Grundlage ist hier eine konstante Wachstumsrate des Haars von etwa 1 cm im Monat, weshalb 1-cm-Segmente ungefähr die Cortisolproduktion eines Monats abbilden. Entnimmt man also z. B. eine 3 cm lange Haarsträhne nah an der Kopfhaut, lässt sich so das im Haar akkumulierte Cortisol aus den drei vorangegangenen Monaten ermitteln. Die Messung von Haarcortisol bei Athleten steht noch ganz am Anfang; erste Befunde deuten aber auf erhöhte Werte bei Ausdauersportlern und auf einen positiven Zusammenhang mit dem Trainingsvolumen hin.

MÖGLICHKEITEN, DEN CORTISOLSPIEGEL ZU SENKEN

Moderat-intensive Bewegung und moderat- andauernde Bewegung senken den Cortisolspiegel und fördern einen antiinflammatorischen Zustand. Sport gilt dabei auch als Stresspuffer, da er durch den erhöhten Energiebedarf die biologische Notwendigkeit erhöhter Cortisolspiegel schafft und diese reduziert. Zu hohe Intensitäten und eine zu hohe Dauer sind dabei aber kontraproduktiv, da diese einen erneuten Stressreiz darstellen und die Cortisolproduktion anregen. Zu empfehlen ist hier am ehesten eine Kombination aus kürzeren hochintensiven Trainingseinheiten, z. B. 2–3 x pro Woche High Intensity Interval Training oder Krafttraining von maximal 20–30 Minuten Dauer, und längeren niedrigintensiven Episoden, wie z. B. 1–2 x pro Woche Yoga oder Low Intensity Steady State Training. Neben dem Finden des richtigen Maßes spielt auch der Ort der Aktivität eine Rolle. Bewegung in der freien Natur reduziert noch effektiver Stress und Stresshormone als Bewegung in der Stadt oder im Fitnessstudio. Neben einem veränderten Sport- und Bewegungsverhalten können wir auch durch eine ballaststoffreiche Ernährung und ausreichend Schlaf unseren Cortisolspiegel positiv beeinflussen.
Als weiterer effektiver Stresspuffer und Schutzfaktor mit sehr klaren Belegen, die Stressresilienz zu fördern, dürfen soziale Beziehungen und soziale Unterstützung nicht unerwähnt bleiben. Forschende vermuten, dass der soziale und der Spaßeffekt gemeinsamer sportlicher Betätigung eine große Rolle für den stresspuffernden Effekt von Sport spielen. Sich gemocht fühlen, sich gebraucht fühlen, soziale Unterstützung durch Vereinskameraden oder die gemeinsame Freude am Sport sind hier wichtige Wirkungsfaktoren.


CORTISOL UND SPORT

  • Risiko des Übertrainings bei zu intensivem Training, vielen Wettkämpfen und fehlender Regeneration
  • Risiko der Gewichtszunahme bei chronisch erhöhten Cortisolwerten
  • Moderat-intensiver und moderat-dauernder Sport wirkt stresspuffernd
  • Sport in Gemeinschaft und in der Natur verbessert den Stresspuffereffekt

PROF. DR. JANA STRAHLER

Die Diplom-Psychologin ist Leiterin des Lehrstuhls für Sportpsychologie am Institut für Sport und Sportwissenschaft an der Albert-Ludwigs- Universität Freiburg.

www.sport.uni-freiburg.de/de/institut/psychologie


Fotos: maya2008 – stock.adobe.com, Prof. Dr. Jana Strahler

Dieser Artikel ist aus der TRAINER-Ausgabe 1-2023:

1-2023-Trainer Cover

 

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