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Mythos Dehydrierung – Trinken nach dem Kamelprinzip

Mythos Dehydrierung – Trinken nach dem Kamelprinzip

Viele Fitnesssportler nippen während des Workout ständig an ihrer Trinkflasche, um ja keinen frühzeitigen Leistungseinbruch zu erleiden. Ist diese ständige Flüssigkeitszufuhr physiologisch sinnvoll bzw. nötig?

Der Mensch besteht bekanntlich zu mehr als der Hälfte aus Wasser. Während der Körperwassergehalt von Frauen bei rund 50 Prozent und der von Männern bei ca. 60 Prozent liegt, können Sportler (insbesondere Ausdauerathleten) Werte über 70 Prozent erreichen. Der tägliche Wasserverlust bei Nichtsportlern liegt durchschnittlich bei circa 2,5 l. Die Hälfte geben wir über den Urin ab, die andere Hälfte findet über Haut, Lunge und Stuhl den Weg nach draußen. Dieser Verlust muss kurzfristig ausgeglichen werden. Was nicht zwangsläufig bedeutet, dass wir 2,5 l trinken müssen, wie vielerorts gepredigt wird. Denn allein mit der Nahrung nehmen wir bereits 800–900 ml Wasser täglich auf. Zudem entsteht bei der chemischen Verbrennung von Nahrungsmitteln Oxidationswasser, das je nach Nahrungsvolumen 300–400 ml ausmachen kann. Unter dem Strich ergibt sich somit ein tägliches Defizit von etwa 1,5 l.

Wasserverlust durch Schwitzen

Für den Sportler kommt allerdings der Verlust durch Schweiß hinzu, der zum einen von der Umgebungstemperatur und der Luftfeuchtigkeit und zum anderen vom Aufenthalt in der Höhe, vom Salzkonsum, von der Proteinzufuhr und von Krankheitssymptomen wie Fieber, Durchfall, Erbrechen abhängig ist – aber vor allem von der Trainingsintensität und dem Trainingsumfang. Die Geschwindigkeit der Schweißproduktion folgt dabei einer Sättigungskurve. Nach einer halben Stunde ist ein Plateau erreicht, danach steigt die Schweißproduktion nicht mehr weiter an. Männer besitzen mehr Schweißdrüsen als Frauen; sie müssen daher grundsätzlich etwa 0,5 l mehr an Flüssigkeit pro Tag aufnehmen.

Höhere Verluste bei intensiven Belastungen

Etwa 75 Prozent der chemischen Energie im Körper dient der Thermoregulation. Dabei entsteht Wärme, die über die Schweißdrüsen abgegeben werden muss, damit die Körperkerntemperatur nicht in Höhen schießt (> 41°), wo viele lebensnotwendige Enzymsysteme ihren Dienst quittieren; das wäre mit dem Leben auf Dauer nicht vereinbar. Intensive sportliche Belastungen bei hohen Temperaturen können daher die Schweißproduktion und somit den Wasserverlust in maximale Höhen von 4–10 l/ Tag treiben. Gleichzeitig verlieren wir 3,5–7 g Natrium. Die Deutschen Gesellschaft für Ernährung gibt die Faustregel aus, dass die Gesamtwasserzufuhr etwa 1 ml pro kcal betragen sollte.

Leistungsabfall durch Flüssigkeitsmangel?

Bis es wirklich zu einer Dehydration kommt, muss eine Menge passieren. Ein ernst zu nehmender Leistungsabfall entsteht erst ab einem Verlust von drei bis vier Prozent des Körpergewichts. Das wären zum Beispiel bei einem 80 Kilo schweren Athleten 2,4 bis 3,2 kg Gewichtsreduktion. Die Angst vor einer schnellen Dehydrierung ist also vollkommen unbegründet, denn bei bis ein Prozent Körpergewichtsverlust passiert rein gar nichts. Selbst bei zwei Prozent kann die Leistung immer noch hochgehalten werden, wenn sie nicht gerade in den Tropen stattfindet. Erst ab der oben angegebenen Schwelle entwickeln sich neben Krämpfen auch Kognitions- und Koordinationsstörungen, Kopfschmerzen und andere Stresssymptome. Mit anderen Worten: Wer 60 bis 90 Minuten bei moderaten Temperaturen im Gym trainiert, kann sich die Getränke-Flatrate bzw. die Flasche neben der Matte getrost sparen. Ein Flüssigkeitsausgleich ist nicht notwendig!

Periodisches Trinken vorziehen

Die Absorption von Wasser erfolgt gekoppelt an die Aufnahme von Glucose und Natrium in unserem Dünndarm. Wie schnell Flüssigkeit vom Magen in den Dünndarm gelangt, hängt von der Konzentration der gelösten Teilchen ab. Sind mehr als 5 Prozent Glucose im Wasser enthalten, verzögert sich der Übertrag in den Dünndarm. Fette und Proteine verlangsamen ebenfalls die Magenentleerung. Zusätzliche Elektrolyte haben keinen Einfluss auf eine schnelle Flüssigkeitsaufnahme. Allerdings: Je stärker der Magen gefüllt ist, desto schneller wird Flüssigkeit in den Dünndarm weitergeleitet, wo die Absorption von Wasser, Glukose und Natrium stattfindet. Aus diesem Grund ist ein periodisches Trinken von etwa 150–200 ml in Abständen von 20 bis 30 Minuten bei längerer Belastung (z.B. während einer Bike- oder Running-Einheit von mehr als 60 Minuten) einer Wasseraufnahme in kleinen Intervallen deutlich vorzuziehen.

Die höchste Absorptionsrate wird durch eine hypotone oder isotone Lösung erreicht, die 4 Prozent Glucose und 400 mg Natrium enthalten sollte. Wichtig zu wissen ist, dass unter normalen physiologischen Bedingungen höchstens 0,9 l Wasser pro Stunde im Dünndarm resorbiert werden können. Ein vollständiger Ausgleich von Schweißverlusten ist während einer schweißtreibenden Belastung also ohnehin nicht immer möglich und auch nicht leistungsfördernd, wie die Studien von Tim Noakes von der University of Cape Town eindrucksvoll belegen konnten („Das Noakes-Prinzip“).

Was in die Trinkflasche gehört

Das perfekte Sportlergetränk besteht aus Wasser, Glukose (Traubenzucker) und Natrium. Natrium wird im Gegensatz zu anderen Mineralien im Körper nur im Blut gespeichert. Wenn der Natriumspiegel sinkt, sinkt auch das Blutvolumen, was zu einem Leistungsverlust führt. Aufpassen sollten vor allem Trainierende, die einer Low-Carb-Ernährung folgen, denn Low-Carb wirkt diuretisch. Folglich verlieren Menschen, die eine kohlenhydratarme Ernährung starten, in der ersten Woche bis zu 2 kg an Körpergewicht. Dabei basiert 1 kg auf der Reduktion von Körperwasser infolge des Natriumverlustes. Dieser führt zu einem kompensatorischen Kaliummangel, was wiederum einen negativen Einfluss auf die Muskelmasse ausübt. Das bedeutet konkret: Eine Salzrestriktion ist für Sportler mit ketogener Ernährung nicht zu empfehlen. Die Konsequenzen kennt jeder, der eine Atkins-Diät probiert hat: Müdigkeit, Schwäche, Schwindel, Kopfschmerzen, Reizbarkeit und Übelkeit.

Falsche Versprechungen der „Sportlergetränke“

Wer einen längeren Wettkampf wie einen Triathlon oder eine Crossfit-Challenge plant, kann zur Prähydration vier Stunden vor der Belastung 5 ml/kg natriumhaltiges Wasser aufnehmen. Zur Rehydration während der Belastung sollten nach den Empfehlungen des American College of Sports Medicine (ACSM) 400–800 ml pro Stunde aufgenommen werden. Bei starker Dehydration, die ab 120 Minuten Belastung auftreten kann, sollten laut ACSM Wasser und Natrium direkt nach dem Workout in einem Verhältnis von 1,5 l pro verlorenem Gewichtsverlust ausgeglichen werden. Das Post-Workout-Getränk ist idealerweise hypo- bis isoton, d.h., es sollte etwa 2–8 Prozent Glucose und 400– 1.000 mg/l Natrium enthalten. Zusätzliche Elektrolyte haben keinen Zusatznutzen. Die viel gepriesenen Energydrinks, Limonaden, Frucht- und Malzgetränke sind in der Regel hyperton und damit als Rehydrationsgetränk ungeeignet, da sie im Dünndarm exakt das Gegenteil bewirken, nämlich eine Netto-Entwässerung; dadurch verstärken sie das Durstgefühl. Unzweckmäßig sind neben zusätzlichen Elektrolyten auch Vitamine oder Amino- und Fettsäuren, die typischerweise in „Sportlergetränken“ angeboten werden, denn sie behindern die schnelle Magenentleerung.

Warum Dehydrierung die Performance steigert

Um zu wissen, ob du dehydriert bist oder nicht, kannst du einen einfachen Test durchführen: Ist dein Urin zitronenfarbig, bist du ausreichend versorgt. Ist die Farbe apfelsaftähnlich, solltest du Flüssigkeit aufnehmen. Noakes empfiehlt deshalb Sportlern das Trinkverhalten nicht Durchschnittswerten oder institutionellen Richtlinien anzupassen, sondern dem individuellen Durstempfinden. Denn seine Arbeitsgruppe fand unter 872 Teilnehmern zweier Ironman-Triathlons heraus, dass diejenigen, die über 10 Prozent ihres ursprünglichen Körpergewichts verloren hatten, am Ende die erfolgreichsten waren. In einer Metaanalyse ermittelte Noakes anschließend, dass eine Missachtung des Durstgefühls sogar mit einer signifikanten Leistungsminderung einhergeht. Es macht also überhaupt keinen Sinn, sprichwörtlich über den Durst zu trinken. Ganz im Gegenteil: Dadurch erhöht sich sogar das Risiko einer Hyponatriämie, d.h. einer Abnahme der Natriumkonzentration im Blut auf weniger als 120 mmol/l. Diese Verdünnung kann schlimmstenfalls ein Lungen- oder Hirnödem zur Folge haben.

Erstes Trinken nach einer Stunde Belastung

Deine Kunden können ihren Vorratsspeicher an Körperwasser erhöhen, indem sie ihn häufiger grenzwertig wie ein Kamel leerlaufen lassen. Das Prinzip folgt dem sogenannten Superkompensationseffekt: Erst der Abbau provoziert einen überschwelligen Aufbau! Um nach diesem Kamelprinzip“ langfristig das Körperwasser zu erhöhen, sollten Sportler frühestens nach 60 Minuten Belastung zum ersten Mal trinken. Wer stattdessen in hoher Taktung zur Trinkflasche greift, tut seinem Körper (und damit auch der eigenen Leistungsfähigkeit) nichts Gutes: Die permanente Flüssigkeitsaufnahme schadet der inneren Thermoregulation, also der Steuerung der Körpertemperatur. In extremen Fällen kann das sogar Bewusstseinsstörungen verursachen.

Fazit

Geringe Flüssigkeitsdefizite haben keinerlei Einfluss auf die Trainingsperformance. Im Gegenteil: Sie etablieren das natürliche Durstgefühl wieder, was vielen durch häufiges Trinken verloren geht. Sportler sollten daher nicht während, sondern erst nach einem schweißtreibenden Workout trinken. Workout-Drinks sind nur unter Hitzebedingungen oder in längeren Wettkämpfen notwendig. Trainierende, die Körperfett reduzieren und ihren Flüssigkeitsspeicher erhöhen wollen, sollten bis zu 60 bis 90 Minuten nach einem Workout weder trinken noch essen.

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