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Kann man parallel Kraft und Ausdauer trainieren?

Kann man parallel Kraft und Ausdauer trainieren?

„Nein!“, so die Meinung vieler Sportler und Trainer zur Vereinbarkeit von Kraft- und Cardiotraining. Zu viel Ausdauertraining schade dem Muskelwachstum und wirke sich so negativ auf die Kraftentwicklung aus.

Tatsächlich gehören zu einem effektiven Fitnesstraining beide Trainingsformen, wie es unter anderem die Gesundheitsverbände empfehlen. Oftmals wird dabei jedoch grundsätzlich infrage gestellt, dass es überhaupt möglich sei, sowohl das Herz-Kreislauf-System zu trainieren als auch gleichzeitig neuromuskuläre Anpassungen zu erzielen. Da die Antworten auf diese Frage mittlerweile wissenschaftlich dokumentiert sind, ist es an der Zeit, Licht ins Dunkel dieses Fitnessmythos zu bringen.

Freund oder Feind?

Das primäre Ziel des Ausdauertrainings ist eine Verbesserung des aeroben und anaeroben Stoffwechsels, induziert durch positive Anpassungen des Herz-Kreislauf-Systems. Krafttraining auf der anderen Seite führt typischerweise zu Verbesserungen der neuromuskulären Funktionen, welche durch einen Anstieg der Maximal- und Schnellkraft sowie einen Zuwachs der Muskelmasse gekennzeichnet sind.

Während aufgrund dieser spezifischen Adaptionen die weitverbreitete Meinung herrscht, dass Kraft- und Ausdauertraining zu grundsätzlich gegensätzlichen Anpassungen führen, zeigen moderne Studien oft das Gegenteil: So kann ein Ausdauertraining, durchgeführt auf dem Radergometer, bei Untrainierten durchaus das Muskelwachstum induzieren (1), während auch durch Krafttraining bei älteren Menschen oder anderen Gruppen mit niedrigem Ausgangsniveau Herz-Kreislauf-Anpassungen beobachtet werden können (2). Die Hypothese, das Kraft- und Ausdauertraining unvereinbar sind, muss daher klar zurückgewiesen werden. Oftmals profitieren gerade Trainierende mit wenig Trainingserfahrung erheblich von einem parallelen Kraft- und Ausdauertraining!

 

Beeinträchtigung von neuromuskulären Anpassungen ist abhängig vom TrainingsvolumenBeinträchtigung von neuromuskulären Anpassungen ist abhängig vom Trainingsvolumen

Die ersten wissenschaftlichen Untersuchungen zum parallelen Kraft- und Ausdauertraining gehen auf das Jahr 1980 zurück (3). Damals wurde gezeigt, dass kombiniertes Kraft- und Ausdauertraining in großen Umfängen von jeweils 5-6 Einheiten pro Woche besonders zu Einschränkungen in der Maximal- und Explosivkraftentwicklung führt; die Ausdauerleistungsfähigkeit hingegen war davon nicht betroffen. Mittlerweile ist bekannt, dass ein wesentlich geringeres Trainingsvolumen von maximal jeweils 2-3 wöchentlichen Kraft- und Ausdauertrainingseinheiten keine oder kaum negative Auswirkungen auf die Maximalkraftentwicklung und das Muskelwachstum zu haben scheint (4).

 


TIPPS FÜR DAS TRAINING

– Niedrige Trainingsfrequenz/ niedriges Trainingsvolumen (maximal jeweils 2-3 Ausdauer- und Krafttrainingseinheiten)
– Frequenz und Volumen des Ausdauertrainings möglichst minimieren und die Intensität ggf. erhöhen
– Kraft- und Ausdauertraining separieren, um kardiovaskuläre Anpassungen und die Fettverbrennung zu optimieren
– Bei kombinierten Einheiten zu Beginn des Trainings längere Regenerationszeiten ermöglichen, wenn das Ausdauer- vor dem Krafttraining durchgeführt wird
– Möglicherweise Kraft- vor dem Ausdauertraining durchführen, um neuromuskuläre Anpassungen zu optimieren


 

Niedriges Volumen und hohe Intensität des Ausdauertrainings als Schlüssel zum Erfolg

Neuere Studien zeigen, dass das Ausdauertrainingsvolumen sowie die Ausdauertrainingsfrequenz in einem inversen linearen Verhältnis mit dem zu erwartenden Kraft- und Muskelzuwachs bei gleichzeitigem Krafttraining stehen (5). Während bei einer niedrigen Trainingsfrequenz (1- bis 2-mal wöchentlich) unabhängig von der Trainingsintensität keine neuromuskulären Fehlanpassungen zu erwarten sind, so kann bei höherem Trainingsvolumen (beispielsweise bei Athleten mit mehr Trainingserfahrung) dazu geraten werden, das Training als HIIT (high-intensity interval training) durchzuführen, da gezeigt werden konnte, dass höhere Trainingsintensitäten zumindest bei einer moderaten Trainingsfrequenz (3- bis 4-mal wöchentlich) den Kraftzuwachs nicht hemmen (6).

Kraft oder Ausdauer, was kommt zuerst?

In zahlreichen Querschnittstudien wird immer wieder aufgezeigt, dass sich ein intensives Ausdauertraining direkt negativ auf die Kraftentwicklung eines im Anschluss durchgeführten Krafttrainings auswirkt, während umgekehrt auch gezeigt wurde, dass intensives Krafttraining einen direkten Einfluss auf die Sauerstoffaufnahme während eines darauffolgenden Ausdauertrainings hat. Unsere Langzeitstudien haben zusätzlich belegt, dass Krafttraining im direktem Anschluss an Ausdauertraining Erholungszeiten von mindestens 48 Stunden erforderlich machen kann (7) und daher die Trainingsfrequenz eher niedrig gehalten werden sollte (2-3 kombinierte Einheiten die Woche) (8). Um sicherzugehen, sollte gerade in den technischen Sportarten oder in denen mit erhöhten Maximal- und Schnellkraftanforderungen das Kraft- und/oder Techniktraining vor dem Ausdauertraining durchgeführt werden.

Hohe Trainingsfrequenz optimiert die Fettverbrennung

Bereits frühere Studien konnten belegen, dass die akuten Effekte auf die Fettverbrennung größer sind, wenn beispielsweise jeweils 30 Minuten Ausdauertraining an verschiedenen Tagen durchgeführt wurde, als wenn die gleiche Anzahl an Minuten in einer einzelnen Einheit durchführt wird (9). Interessanterweise konnten wir dies nun in einer Längsschnittstudie mit parallelem Kraft- und Ausdauertraining sowohl mit Männern als auch mit Frauen reproduzieren (10). Bei gleichem Trainingsvolumen führte das Kraft- und Ausdauertraining, durchgeführt an separaten Tagen (4- bis 6-mal wöchentlich jeweils 2- bis 3-mal Ausdauer und Kraft) sowohl bei Männern als auch bei Frauen zu einer höheren Fettreduktion als das gleiche Training, durchgeführt an nur 2-3 Tagen pro Woche (mit jeweils Kraft und Ausdauer in derselben Trainingseinheit). Gleiches traf im Übrigen auch für die Verbesserung der maximalen Sauerstoffaufnahme zu, auch wenn die genauen physiologischen Hintergründe dafür noch nicht geklärt sind (11).

 

Einflussfaktoren auf die Trainingsanpassungen bei parallelem Kraft- und Ausdauertraining

Einflussfaktoren auf die Trainingsanpassungen bei
parallelem Kraft- und Ausdauertraining

Weniger ist manchmal mehr

Basierend auf den wissenschaftlichen Erkenntnissen, lassen sich die verbreiteten Thesen einer allgemeinen chronischen Unvereinbarkeit von Kraft- und Ausdauertraining nicht mehr halten. Es ist daher dringend ratsam, bei der Trainingsplanung eine Differenzierung der Rahmenbedingungen vorzunehmen und das Training mithilfe individueller Vorgaben abzustimmen. Grundsätzlich gilt dabei der Leitsatz: Weniger ist manchmal mehr!

 


Quellenverzeichnis

1 Mikkola J. et al. (2012), Int J Sports Med. 33(9):702-710
2 Hagerman FC. et. al (2000), J Gerontol A Biol Sci Med Sci. 55(7):B336-46
3 Hickson RC. et al. (1980), J Apppl Physiol Occup Physiol. 45(2):255-263
4 Häkkinen K. et al. (2003), Eur J Appl Physiol. 89(1):42-52
5 Wilson et al. (2012), J Strength Cond Res. 26(8):2293-2307
6 Kraemer et al. (1995), J Appl Physiol. 78(3):976-989
7 Schumann et al. (2014), Eur J Appl Physiol. 114(4):867-880
8 Schumann et al. (2015), Med Sci Sports Exerc. 46(9):1758-1768
9 Almuzaini KS et al. (1998), Can J Appl Physiol. 23(5):433-443
10 Eklund et al. (2016), Appl Physiol Nutr Metab. 41(7):767-74
11 Schumann et al. (2015), PlosOne. 10(9):e0139279


 

Diesen Artikel findest du im Trainer-Magazin 6/16, geschrieben von
Dr. Moritz Schumann | Der Autor ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Kreislaufforschung und Sportmedizin an der Deutschen Sporthochschule in Köln. Er promovierte zum Thema des parallelen Kraft- und Ausdauertrainings an der University of Jyväskylä (Finnland) und ist Autor zahlreicher internationaler Veröffentlichungen und Kongressbeiträge.

 


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