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Süßstoffe

Süßstoffe

Das Ende der Light-Lüge

Fertiggerichte, Joghurt, Getränke und Süßigkeiten – all diese Produkte gibt es inzwischen auch in der zuckerfreien Light-Version, die bei gesundheits- und figurbewussten Menschen sehr beliebt ist. Doch sind die zuckerfreien Alternativen wirklich gesund?

Wer gesund leben möchte, sollte pro Tag nicht mehr als 25 bis maximal 50 g Haushaltszucker aufnehmen – so lautet die Empfehlung der Weltgesundheitsorganisation. Allerdings fehlt uns evolutionsbedingt ein inneres Stopp-Schild für eine Begrenzung des Zuckerkonsums. Die Vorliebe für Süßes war für unsere Vorfahren ein Überlebensvorteil: Der süße Geschmack signalisierte, dass man etwas bedenkenlos essen konnte. Denn in der Natur gibt es keine Nahrungsmittel, die süß und zugleich akut giftig sind. Im Vergleich zum paläolithischen Zeitalter ist Zucker heutzutage allerdings keine Rarität mehr, sondern allgegenwärtig. Der süßen Versuchung zu widerstehen, ist eine große Herausforderung. Ein hoher Zuckerkonsum hat jedoch dramatische Folgen, denn viele Zivilisationskrankheiten wie Übergewicht, Diabetes Typ 2 und Karies werden durch eine zuckerreiche Ernährung begünstigt.
Lebensmittelchemiker und -technologen tüfteln seit Jahrzehnten an neuen Mixturen, um den Haushaltszucker zum Süßen von Speisen zu ersetzen. Die vermeintlichen Wunderstoffe werden weltweit immer gefragter. Die globale Marktgröße für Süßstoffe wurde im Jahr 2021 auf rund 7,2 Milliarden US-Dollar geschätzt und soll bis Ende 2027 auf 9,7 Milliarden US-Dollar ansteigen. Die Idee, Zucker zu meiden, ist prinzipiell richtig – aber sind Süßstoffe die geeignete Lösung hierfür?

DIE MODERNE SÜSE

Süßstoffe sind synthetisch hergestellte oder natürliche Ersatzstoffe für Haushaltszucker mit keinem oder nur einem sehr geringen physiologischen Brennwert. Sie bieten kariesverursachenden Bakterien keine Nahrung, da sie von der Mundflora nicht verstoffwechselt werden. Aufgrund ihrer chemischen Struktur sind sie jedoch in der Lage, an Geschmacksrezeptoren anzudocken und die Süßkraft von Haushaltszucker erheblich zu übertreffen. So ist beispielsweise der Süßstoff Stevia, der 2011 in Europa erstmals zugelassen wurde, 300-mal süßer als Haushaltszucker. Er wird aus dem Steviakraut extrahiert und als „naturbelassen“ beworben, obwohl seine starke Süße erst durch chemische Hilfsstoffe und etliche Arbeitsschritte unter Hitzeeinwirkung entsteht. Dennoch ist bei Stevia ein natürlicher Pflanzeninhaltsstoff die Basis, wohingegen die synthetischen Süßstoffe vollständig im Labor hergestellt werden. Die erste Herstellung gelang zufällig im Jahr 1879 mit Saccharin, dem ältesten synthetischen Süßstoff, der 500-fach süßer als Zucker und darüber hinaus sogar kostengünstiger in der Produktion ist. Andere Süßstoffe wie Neotam und Advantam sind noch süßer. Letzterer ist der zurzeit stärkste Süßstoff auf dem Lebensmittelmarkt mit einer 37.000-fach stärkeren Süßkraft als Haushaltszucker. Konzentriert schmeckt die künstliche Süße sehr intensiv, fast schon bitter. Deshalb benötigen Light-Produkte nur eine geringe Menge an Süßstoff – viel weniger als die Zuckermenge in der klassischen Variante.

DIE FEHLENDEN KALORIEN

Süßstoffe werden als gesunde Alternativen zu Zucker und als gewichtsreduzierende Hilfsmittel vermarktet. Wissenschaftliche Daten deuten jedoch darauf hin, dass die beabsichtigten Wirkungen nicht zwangsläufig erzielt werden. Bereits in den 1980er Jahren wurde ein klassisches Experiment durchgeführt, in dem Testpersonen entweder reines oder mit Aspartam gesüßtes Wasser tranken. Die Personen, die das mit Süßstoff versetzte Wasser erhalten hatten, zeigten ein größeres Appetitempfinden. Die appetitanregende Wirkung blieb nach dem Trinken von reinem Wasser aus1. Die Theorie hinter dieser Beobachtung: Eine sensorische Komponente (süßer Geschmack) ohne die entsprechende energetische Komponente (Nährstoffe im Blut) verleitet dazu, mehr zu essen.
Um die Theorie in der Praxis bestätigen zu können, rekrutierte ein mehrköpfiges Team an der University of Southern California 74 Probanden, die entweder ein mit Haushaltszucker gesüßtes Getränk, ein mit Sucralose gesüßtes Getränk oder Wasser trinken sollten. Während der Verkostung verwendeten die Forscher eine Technik namens „funktionelle Magnetresonanztomographie“ (fMRT), um die Gehirnreaktionen der Probanden zu messen. Während sich die Geschmacksrezeptoren durch Süßstoffe täuschen ließen, zeigten die fMRT-Scans eindeutige Unterschiede: Gehirnregionen, die Appetit und Hunger steuern, waren bei Frauen im gebärfähigen Alter und bei Menschen, die ohnehin schon übergewichtig waren, stark erhöht. Schließlich aßen die weiblichen Teilnehmer, nachdem sie das sucralosehaltige Getränk getrunken hatten, an einem Snackbuffet mehr als die Teilnehmerinnen, die echten Zucker bzw. Wasser erhalten hatten. Die Untersuchung aus dem Jahr 2021 konnte zeigen, dass Süßstoffe neuronale und verhaltensbezogene Auswirkungen haben, die zu einer erhöhten Kalorienaufnahme führen können. Vor allem der Organismus von Frauen und fettleibigen Menschen scheint auf die unnatürliche Kombination aus süßem Geschmack und fehlenden Kalorien konfus zu reagieren.

EINFLUSS AUF DEN DARM

Nach aktueller wissenschaftlicher Bewertung haben Süßstoffe wie Aspartam, Saccharin oder Sucralose keinen Einfluss auf den Blutzuckerspiegel, da sie nicht im Dünndarm resorbiert werden. Allerdings interagieren sie im Dickdarm mit lebenden Mikroorganismen – unserem Mikrobiom. Dieses wiederum beeinflusst unseren Stoffwechsel und unsere Immunität. Damit stellt es die Grundlage für einen gesunden Organismus dar. Wie wir heute wissen, hat die Zulassungsforschung die Bedeutung des Mikrobioms bei der Untersuchung von Süßstoffen stark vernachlässigt. Aktuelle Erkenntnisse deuten darauf hin, dass künstliche Süßstoffe keineswegs passive Zusatzstoffe sind. Durch Veränderungen des Mikrobioms können sie durchaus pathologische Veränderungen im Körper hervorrufen. Eine vielzitierte Studie aus dem Jahr 2014 in der Fachzeitschrift Nature hat gezeigt, dass Aspartam, Saccharin und Sucralose über die Modulation des Mikrobioms anormal hohe Blutzuckerwerte auslösen können – sowohl bei Menschen als auch bei Tieren. Von drei untersuchten Süßstoffen zeigte Saccharin die stärkste Wirkung. Selbst wenn Mäusen die von der US-amerikanischen Food and Drug Administration empfohlene Tagesmenge an Saccharin verabreicht wurde (angepasst an das Körpergewicht der Mäuse), wiesen sie einen erhöhten Blutzuckerspiegel auf. Eine parallele Kontrollgruppe von Mäusen, die mit natürlichen Zuckern (Traubenzucker und Haushaltszucker) gefüttert wurde, wies keine derartigen Stoffwechselveränderungen auf. Ein chronisch erhöhter Blutzuckerspiegel kann zu Typ-2-Diabetes führen und das Risiko für Herzkrankheiten erhöhen. Interessanterweise normalisierte sich der Blutzuckerspiegel wieder, als den Mäusen Breitbandantibiotika verabreicht wurden, die Bakterien im Darm abtöteten. Letzteres deutet darauf hin, dass das Darmmikrobiom die Veränderungen der Blutzuckerregulation auslöste².

ANREICHERUNG IM TRINKWASSER

Eine Studie der britischen Anglia Ruskin University aus dem Jahr 2021 hat die Thematik weiter unter die Lupe genommen und herausgefunden, wie die süßen Ersatzstoffe auf das Mikrobiom einwirken. Der Forschungsarbeit zufolge sorgen Süßstoffe für eine Verklebung von Darmbakterien, wodurch sich ein zäher Bakterienfilm bildet, der sich über die Schleimhaut des Darms legt und ein Ungleichgewicht der Darmflora bewirkt. Durch die verstärkte Bildung des Bakterienfilms können sich vor allem Darmbakterien vom Typ Escherichia coli (E. coli) und Enterococcus faecalis (E. faecalis) vermehren und wachsen. Diese pathogenen Darmbakterien können in Epithelzellen, sogenannte Caco-2- Zellen, eindringen und zelltoxische Schäden verursachen. Sie zerstören somit systematisch die Darmflora, was im besten Fall zu Verdauungsbeschwerden, im schlimmsten Fall jedoch zu chronischen Entzündungen mit diversen Erkrankungsbildern führen kann³.
Vollständig abgebaut werden die synthetischen Substanzen, die beispielsweise in Light-Limos, zuckerfreien Süßigkeiten, Säften und Marmeladen stecken, allerdings auch im Dickdarm nicht. Süßstoffe sind so stabil, dass sie vom Körper nicht abgebaut werden können. Sie passieren die menschliche Verdauung ebenso unbeschadet wie die Abwasserreinigung in der Kläranlage und reichern sich auf diese Weise in der Umwelt an. In Trinkwasseranalysen konnten die Süßstoffe Acesulfam- K, Cyclamat, Saccharin und Sucralose nachgewiesen werden. Das Trinkwasserversorgungs- und Abwasserbeseitigungsunternehmen Hamburg Wasser fordert daher einen grundlegenden Verzicht auf die problematischen Substanzen. Damit unsere Grundwasservorräte rein bleiben, sollten Süßstoffe keinen Platz auf unserem Teller oder in unserer Trinkflasche finden.

FAZIT

Süßstoffe bergen die beschriebenen gesundheitlichen Risiken. Eine gesunde Alternative sind Light-Produkte daher nicht. Sie mögen zwar kalorienärmer und weniger kariesverursachend sein, können jedoch diverse Erkrankungen begünstigen. Besser als Zucker zu ersetzen ist es, das eigene Geschmacksempfinden nach und nach auf weniger süß zu trainieren. Schon innerhalb weniger Wochen verändert sich unser Geschmacksempfinden erheblich und das Verlangen nach Süße lässt deutlich nach.

 


DR. JENS FREESE

Der Master of Science Clinical Neuroimmunology und Diplom-Sportwissenschaftler ist Leiter der Dr. FREESE Akademie und des Dr. FREESE Instituts.

www.dr-freese.com


PASCAL BUJOR

Der Sportwissenschaftler (B. Sc.) ist Mitarbeiter im Dr. FREESE Institut für Sportund Ernährungsimmunologie und absolviert den Masterstudiengang „Ernährungstherapie“.

www.dr-freese.com


Fotos: pvl0707 – stock.adobe.com, Dr. Jens Freese, Pascal Bujor

Dieser Artikel ist aus der TRAINER-Ausgabe 1-2023:

1-2023-Trainer Cover

Literatur:
1 Blundell JE, Hill AJ. Paradoxical effects of an intense sweetener (aspartame) on appetite. Lancet. 1986 May 10;1(8489):1092–3.
2 Suez, J. Korem, T. Zeevi, D. et al. Artificial sweeteners induce glucose intolerance by altering the gut microbiota. Natura 514, 181–186 (2014)
3 Shil, A. Chichger, A. Artificial Sweeteners Negatively Regulate Pathogenic Characteristics of Two Model Gut Bacteria, E. coli and E. faecalis. Int. J. Mol. Sci 2021, 22, 5228.

 

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