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Athletische Performance

Athletische Performance

Neurozentrierte Strategien zur Leistungsoptimierung

Du trainierst oft und intensiv, schaffst es aber nicht, die letzten Leistungsreserven zu mobilisieren? Yassin Jebrini zeigt neurozentrierte Strategien auf, mit denen du die Entwicklung deiner athletischen Fähigkeiten auf eine sichere und nachhaltige Grundlage stellst.

Egal ob Vibrationstraining, Elektrostimulationstraining, Freihanteltraining oder Übungen mit Widerstandsbändern: All diese Methoden versprechen eine zielgerichtete Entwicklung der nötigen physiologischen Fähigkeiten, um eine Sportart auf hohem Niveau betreiben zu können. Doch wie sollen wir uns in diesem Dschungel an Möglichkeiten und oftmals leeren Versprechungen zurechtfinden? Woher sollen wir wissen, welche dieser Methoden uns wirklich in die Lage versetzen, unser Leistungsvermögen auszuschöpfen? Dieser Artikel hat das Ziel, ein Verständnis für die Entstehung von sportlicher Leistung auf neurologischer Ebene zu schaffen, um auf dieser Grundlage die Sinnhaftigkeit einzelner Trainingsübungen zu beurteilen, den Trainingszustand mit einfachen Assessments zu überwachen und den Trainingserfolg mit effektiven anforderungsspezifischen Übungen zu maximieren. Im Zentrum dieser Betrachtungen steht der Athlet mit seinen individuellen Bedürfnissen.

WIE ENTSTEHEN BEWEGUNGEN?

Neben dem Verständnis für die spezifischen Anforderungen einer jeweiligen Sportart ist es für die Gestaltung von Trainingsprogrammen absolut erforderlich, zu begreifen, wie eine sportliche Leistung überhaupt entstehen kann. Ohne dieses Wissen ist es schwierig, sich auf bestimmte Trainingsübungen festzulegen oder die körperlichen Grundeigenschaften von Athleten fachgerecht zu beurteilen. Schauen wir uns dazu einmal die Wirkungsweise unseres zentralen Nervensystems (ZNS) bei der Planung, Entstehung und Durchführung einer motorischen Bewegung an.
Die Hauptaufgabe des ZNS ist es, unser Überleben zu sichern, sei es physisch, mental, oder emotional. Dafür empfängt es durch unsere Sinnesorgane, also durch Sehen, Hören, Schmecken, Riechen, Tasten, Fühlen und die Körperbalance, sensorische Informationen aus der Um- und Innenwelt, um diese im Anschluss ins „System Körper“ zu integrieren und zu verarbeiten. Tag und Nacht beantwortet unser Gehirn die Fragen: Bin ich in Sicherheit? Was kann ich gegen Unsicherheit tun? Auf Grundlage dieses Screenings und des Einbezugs von bisher gesammelten Erfahrungswerten erstellt das Gehirn eine Prognose über das, was als Nächstes passieren wird, und trifft so eine Entscheidung darüber, was die entsprechenden Organe und Systeme, die in unserem Beispiel einen motorischen Output erzeugen sollen, als Nächstes zu tun haben. In diesem Zuge werden auch der Muskeltonus, der Blutdruck, die Hormonausschüttungen etc. den potenziellen Aufgaben entsprechend reguliert.
Wenn der Input aus den sensorischen Systemen jedoch lückenhaft ist, wird unser Gehirn annehmen, dass die aktuelle Situation bedrohlich ist. So kann das Gehirn keine genaue Prognose über die kommende Situation stellen und der Vorhersageprozess über das, was als Nächstes passieren soll, misslingt. Wir registrieren dies auf Dauer durch Bewegungseinschränkungen, Schmerzen, Kraftlosigkeit und Koordinationsprobleme oder haben eine erhöhte Verletzungsgefahr. Ebenso limitiert eine mangelhafte Integration sensorischer Informationen auch die sportspezifische Leistungsfähigkeit: Ein Hochspringer kann nur so hoch springen, wie sein Nervensystem glaubt, auch wieder sicher landen zu können. Wenn das Gleichgewichtsorgan bei der Landung Probleme hat, ist es fast egal, wie groß der Motor ist, der den Sportler in die Höhe katapultiert. Das ZNS wird die maximale Leistungsfähigkeit präventiv nicht abrufen, um potenzielle Gefahren zu umgehen.

DER MOTORISCHE OUTPUT

Wie bereits ausgeführt, agiert das „System Körper“ immer bestmöglich auf der Grundlage von sensorischem Input und Erfahrungswerten. Mit steigender Qualität des sensorischen Inputs und seiner Verarbeitung bewegen wir uns auf dem Sicherheitskontinuum des ZNS von Unsicherheit über vermehrten Schutz bis hin zu maximaler Sicherheit. Während wir uns im Therapierahmen häufig mit dem ersten Grenzbereich beschäftigen, wo Schutzmaßnahmen des ZNS aktiv sind und sich beispielsweise durch Ermüdung, mangelnde Flexibilität, Immobilität, Balancedefizite oder auch Migräne äußern, bewegen wir uns im athletischen Bereich vermehrt in einem Bereich, wo es um das Zulassen von hohen Kraftanstrengungen, Geschwindigkeiten und hoher Koordination geht. In diesem Bereich erreicht das ZNS einen Zustand von großer Sicherheit, sodass die geplanten Handlungen vollständig ausgeführt werden können.
Im Sportkontext müssen wir dabei eines beachten: Je höher die Anforderungen an die Bewegung werden und je schneller diese durchgeführt werden sollen, desto größer sind auch die Anforderungen an die sensorischen Systeme des Sportlers. Die Aufgaben, die an das Gleichgewicht, die Atmung, die Muskulatur und andere für die Bewegung notwendigen Instanzen gestellt werden, potenzieren sich, wobei jede Bewegung an sich noch einmal von einem ganz individuellen Bewegungsprofil gekennzeichnet ist. Aufgrund dieser stark ansteigenden Systemanforderungen für komplexe Bewegungen brauchen wir nicht immer nur ein Mehr an Training, sondern einen nachhaltigeren Ansatz. Halten wir uns die neurologischen Voraussetzungen zur Bewegungsplanung und -durchführung vor Augen, sind zusammenfassend folgende drei Aspekte zu beachten und anzustreben:

1. OPTIMALE SENSORIK ALLER SINNESORGANE

Die Informationen aus unseren Sinnesorganen sind in ihrer Bedeutung für das ZNS hierarchisch gestaffelt. Am wichtigsten für die Bewegungssteuerung sind mit großem Abstand vor dem vestibulären und dem musculoskeletalen System die sensorischen Informationen unserer Augen. Ungefähr 70 Prozent des gesamten sensorischen Inputs liefert das visuelle System. Innerhalb dieses visuellen Systems nimmt das periphere Sehen eine Schlüsselrolle ein. Wir haben 20-mal so viele Rezeptoren für das, was wir nicht direkt ansehen, als für das, was wir direkt fixieren. Unsere Augen richten demnach ihre größte Kapazität auf das, was wir gar nicht genau anschauen. Aus diesem Grund können wir beim Spazierengehen auf unser Smartphone schauen, ohne gegen die Ampel zu laufen, oder einen seitlich herannahenden Ball wahrnehmen, ohne dessen Abwurf mitbekommen zu haben. Da uns das periphere Sehen entscheidende Informationen über unsere Position im Raum gibt, wird es auch visuelle Propriozeption genannt – also visuelle Raum- und Positionswahrnehmung. Wenn die Informationen, die unser peripheres Sehen liefert, genauer sind, kann uns unser Gehirn schneller und präziser im Raum ausrichten. Das bedeutet im Sport: Wir sind direkt stabiler und stärker! Siehst du beispielsweise einen heranstürmenden Gegner direkt aus den Augenwinkeln, hat dein Gehirn genügend Zeit, sich auf den Körperkontakt vorzubereiten.

2. DATENÜBERTRAGUNG ÜBER DIE PERIPHEREN NERVEN UND DAS RÜCKENMARK

Wenn die sensorischen Rezeptoren ihre Funktion vollends entfalten, aber die Nerven die Informationen als Lieferanten nicht gut übertragen, erhält das ZNS nicht alle potenziellen Informationen. Die Folge: Aufgrund der eingeschränkten Übertragung werden die sensorischen Informationen auf einer nur unzureichenden Basis verarbeitet. Bewegungseinschränkungen und eine sinkende athletische Leistungsfähigkeit lassen nicht lange auf sich warten. Das ist vergleichbar mit einem Stau auf der Autobahn oder einem Knick im Gartenschlauch. Im ersten Fall stockt der Verkehr, im zweiten Fall unterbricht der Wasserdurchfluss. Gleiches passiert im Körper, wenn die Nerven nicht frei sind. Für die Erhöhung der athletischen Performance ist es also unverzichtbar, sich um eine optimale Datenübertragung der peripheren Nerven zu kümmern.

3. OPTIMALE REFLEKTORISCHE STABILITÄT

Besonders hervorzuheben für das Gelingen von Bewegungen und die Steigerung der athletischen Leistungsfähigkeit ist die Bedeutung einer guten Rumpfstabilität. Eine gute Rumpfstabilität bezieht sich in diesem Zusammenhang insbesondere auf ihre reflektorische Performance. Den Rumpf willkürlich mit Halteübungen zu ermüden, wird dem Anforderungsprofil kaum einer Sportart gerecht. Aus diesem Grund sollten wir die Areale trainieren, die der Muskulatur die Befehle geben, und nicht nur den Muskel an sich stärken. Eine wichtige Komponente ist hierfür der Utriculus, ein Sensor, der horizontale Beschleunigungen vorwärts, rückwärts und seitlich misst. Je besser das Gehirn diese Beschleunigungen und Lageveränderungen des Körpers wahrnehmen kann, desto besser kann der Körper während der Bewegung stabilisiert werden. Außerdem ist dieser Sensor des Gleichgewichtsorgans wichtig für eine gute Sehfähigkeit.

WIE ENTSCHEIDE ICH, WAS FÖRDERLICH IST?

Ein entscheidendes Kriterium zur Quantifizierung von Trainingsfortschritten und zur Beurteilung der Trainingsqualität ist die effektive und fortlaufende Bewertung und Präsentation der Trainingsergebnisse. Was du brauchst, sind folglich Assessments, die objektive Informationen über die Wirkung einzelner Übungen bereitstellen und somit als Entscheidungsgrundlage für mögliche Programmanpassungen dienen. Konkret zeigen Momentbewertungen, wie das zentrale Nervensystem auf einen Trainingsstimulus reagiert. Assessments funktionieren, weil unser Gehirn und das Nervensystem direkt und unmittelbar auf jeden gegebenen Reiz reagieren, also auch auf jede Übung, die du ausführst. Wichtig: Assessments sind nicht dazu da, um dich direkt stärker, schneller und beweglicher zu machen. Es sind schlicht Bewegungen, über die der Trainierende herausfinden kann, ob die applizierte Trainingsintervention eine positive, eine neutrale oder gar eine negative Wirkung auf das zentrale Nervensystem und das Gehirn ausgelöst hat.
Mögliche Assessments in diesem Sinne sind beispielsweise zum einen das Ausmaß der Abduktion/ Flexion in der Schulter und zum anderen die Sehschärfe, die, anders als häufig angenommen, nicht konstant ist und sensibel auf äußere Einflüsse reagiert. Gerade bei Menschen, die nicht gut sehen können, wird die Sehschärfe oftmals über die Eye-Chart-App oder die Snellen-App als Assessment herangezogen. Ein ebenfalls sehr beliebtes Assessment ist die reflektorische Stabilität im Stand, bei der beide Füße hintereinandergestellt werden, sodass die Zehen die Ferse berühren. Wenn du zunächst eher wackelig bist und nach der jeweiligen Übungsdurchführung an Stabilität hinzugewonnen hast, kann dieses Assessment als guter Re- Test gewertet werden.

FAZIT

Viele Menschen setzen einen Trainingsplan haargenau um, ohne überhaupt zu wissen, ob die darin enthaltenen Übungen und Belastungsnormative ihrem neuronalen Profil entsprechen und ob sie ihre athletische Leistungsfähigkeit sportartspezifisch anheben. War das, was wir mit jemandem gemacht haben, ein förderlicher Stimulus? Wie hat der Reiz auf das zentrale Nervensystem gewirkt? Ohne die Beantwortung dieser Fragen können wir die Suche nach den passenden Werkzeugen für Athleten nicht abschließen. Schließlich gibt es viele Möglichkeiten, Sportler zu fördern, doch nicht alle Werkzeuge schlagen gleich gut an. Die athletische Leistungsfähigkeit werden wir somit nur verbessern, wenn wir die neurologisch dafür notwendigen Voraussetzungen schaffen. Arbeiten die sensorischen Rezeptoren sauber? Nehmen meine Augen die Umwelt genau wahr? Ist die Datenübertragung über die Nerven erfolgreich? Ist meine reflektorische Stabilität gut? Wenn wir hier genau vorgehen und über Assessments Defizite aufarbeiten, werden wir Leistungssprünge erreichen, die mit wahllosem Drauflostrainieren nicht möglich wären.


YASSIN JEBRINI

Der Sportwissenschaftler M.A. und Z-Health-Absolvent arbeitet als Neuroathletiktrainer mit Profi- und Freizeitsportlern. Zusätzlich ist er als Referent tätig und bildet Trainer in Neuroathletik aus.

www.jebrini-training.de


Fotos: Yassin Jebrini

Dieser Artikel ist aus der TRAINER-Ausgabe 1-2023:

1-2023-Trainer Cover

 

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