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BIOFEEDBACK TRAINING

BIOFEEDBACK TRAINING

Das Potenzial des neuromuskulären Systems

Bei der Beurteilung von Leistungseinbrüchen und Verletzungen im Profifußball gewinnen neuromuskuläre Defizite zunehmend an Bedeutung. Der EMG-Experte Simon Roth erläutert, welchen Mehrwert Muskelaktivitätsmessungen und Biofeedback-Training vor und während der Saison für das medizinische Team hinter der Mannschaft bieten können.

Ein Parameter, der lange Zeit lediglich subjektiv betrachtet wurde, wird seit einigen Jahren zunehmend in konkrete Daten umgewandelt: die Muskelaktivität. Sie spielt eine entscheidende Rolle bei der Kraftentwicklung und Ökonomisierung des muskulären Systems.

PRE-SEASON ASSESSMENT

Muskuläre Dysbalancen und neuromuskuläre Defizite sind entscheidende Faktoren für potenzielle Leistungseinbußen, Verletzungen und Schmerzen, die nicht unterschätzt werden dürfen. Es ist gängige Praxis, dass die Athleten eines Bundesliga- Clubs während der Saisonvorbereitung vom Funktionsteam auf mögliche Asymmetrien untersucht werden. Assessment-Tools werden zur objektiven Erfassung von Abweichungen verwendet. Spieler werden von unterschiedlichen Fachbereichen untersucht und auf ihre individuelle Belastbarkeit hin geprüft.

EMG ALS BILDGEBENDES VERFAHREN

Signifikante Defizite in der Steuerung sportspezifischer Muskelgruppen können zu ineffizienten Bewegungsmustern und Überlastungsschäden führen. Diese Schwachstellen aufzudecken und zu objektivieren ist mithilfe der Elektromyographie (EMG) möglich. Dabei wird die Muskelaktivität durch kleine Sensoren auf der Haut erfasst und mittels Bluetooth an ein Tablet übertragen und aufgezeichnet. Das System erkennt sofort relevante Dysbalancen und schlägt geeignete Korrekturen vor, die im Biofeedback überprüft werden können.
„Neuromuskuläre Dysbalancen sind ein essenzieller Teil bei der Beurteilung von potenziellen Schwachstellen und Potenzialen eines Athleten. Durch die Visualisierung der Muskelaktivität gelingt es, diesen Parameter sichtbar zu machen und im Biofeedback-Training positiv zu beeinflussen.“ (Dr. Basit Ahmad, FC Bayern München)

ANSTEUERUNG TRAINIEREN

Der Athlet erwirbt durch das Biofeedback- Training ein Bewusstsein für das, was er fühlt und sieht. Die Frage, ob die Aktivität während einer Übung tatsächlich dort ankommt, wo er sie spürt, steht im Mittelpunkt. Diese spezielle Trainingsmethode fördert besonders die Verbindung zwischen Geist und Muskeln. Sie ist auch bekannt als Muscle-Mind-Connection.
Diese neuronale Verbindung zwischen Gehirn und Muskulatur wird in der Sportwissenschaft als „Muskelbewusstsein“ bezeichnet. Der Athlet konzentriert sich bewusst auf die gezielte Ansteuerung eines Muskels oder fokussiert sich während der Übungsausführung besonders auf den aktivierten Muskel. Die Komplexität des intramuskulären Zusammenspiels hängt von der Erfahrung des Trainierenden, der Art der Übung oder dem Fokus des Trainierenden ab. Eine ausgeprägte Muscle-Mind-Connection ist entscheidend für eine effektive Trainingsleistung, da sie die angesteuerte Muskulatur gezielt aktivieren und trainieren kann.
Die optimale Steuerung der eigenen Muskulatur wird oft durch erlernte muskuläre Kompensationen beeinträchtigt. Athleten mit einer Bänderverletzung oder einem Beinbruch neigen dazu, das betroffene Bein während der Rehabilitation zu schonen, um die strukturelle Heilung zu fördern. Dies führt häufig zu einer reduzierten neuromuskulären Kommunikation und somit zu einem Kraftverlust. Die Konsequenzen daraus können Überlastung, Verletzungen und Schmerzen sein.
In einer effektiven Rehabilitationsphase werden die betroffenen Muskeln integriert und das physiologische Steuerungsmuster wiederhergestellt. In unserer Arbeit stellt sich immer wieder ernüchternd heraus, dass bisher nur wenige Rehabilitationseinrichtungen über ein System verfügen, das überwacht, ob diese Form der Wiedereingliederung zielführend verläuft.

„Muskelaktivität ist eine sinnvolle, messbare Größe zur Beurteilung der Kraftentfaltung und Ökonomisierung des muskulären Systems.“

PERFORMANCE NIVEAU STABILISIEREN

Im Profifußball geht es weniger darum, Spieler schneller zu machen, sondern vielmehr darum, ihre bestehende Performance und Athletik zu stabilisieren. Das Ziel ist es, die Fähigkeit zur langanhaltenden Schnelligkeit zu bewahren und die individuellen Kapazitäten maximal auszuschöpfen.
„EMG Biofeedback-Training hat mir geholfen, nach Verletzungen schneller fit zu werden. Ich nutze immer wieder gerne die Gelegenheit, mithilfe des Biofeedback-Trainings mein Potenzial zu aktivieren. Die Übungen sind fester Bestandteil meines Trainings.“ (Aymen Barkok, Spieler bei 1. FSV Mainz 05)
Ein ineffizientes Ansteuerungsverhalten beeinträchtigt die Ausdauerleistungsfähigkeit. Wenn beim Laufen kompensatorische Muskeln zusätzlich aktiviert werden, verbraucht der Körper mehr Energie, wie wenn nur die für den Lauf relevanten Muskeln verwendet werden. Die Kontrolle über das eigene neuromuskuläre System ist entscheidend für eine gute und nachhaltige Athletik. Ob Profifußballer der Ersten Bundesliga, Olympiateilnehmer in einer Individualsportart oder der „normale“ Büroathlet – jeder benötigt ein individuelles Maß an Muskelkontrolle, um gesund zu bleiben.
“Die Visualisierung durch EMG-Analysen hat mir sehr geholfen, auch die letzten paar Prozent meines Potenzials während der Genesung nach einer Schulteroperation wieder herauszuholen.” (Judoka Dominic Ressel, Bronzemedaillengewinner Olympische Sommerspiele 2020)

FALLBEISPIEL IM PROFIFUSSBALL

Ein Muskelfaserriss im hinteren Oberschenkel, genauer gesagt im Musculus biceps femoris, ist eine der häufigsten muskulären Verletzungen im Profifußball, die beispielsweise beim Sprinten ohne Fremdeinwirkung auftritt. Die Frage, wie dies trotz professioneller Trainings erfolgen kann, war lange Zeit ungeklärt. Die Forschung hat inzwischen festgestellt, dass muskuläre Defizite, sowohl in der Becken- Rumpf-anbindenden Muskulatur als auch direkt im Ischiocruralen Bereich (hinterer Oberschenkel), eine wichtige Rolle bei der beschriebenen Problematik spielen.
Wenn im Laufe der Spielerkarriere neuromuskuläre Defizite in einem oder beiden dieser Bereiche auftreten, muss der Spieler auf andere Muskeln zurückgreifen, um die fehlende Aktivität auszugleichen. Dies kann in Phasen mit hoher Belastung und/oder Ermüdung zu Verletzungen der betroffenen Struktur führen. Der Spieler wird vom Platz genommen. Die Rehabilitation beginnt sofort. In 50 Prozent der Fälle treten diese Verletzungen erneut auf, durchschnittlich 25 Tage nach der Rückkehr zum Spiel (Return-To-Play).

EMG-ANALYSE ZUR AUFKLÄRUNG

Durch gezielte EMG-Screenings der betroffenen und umliegenden Muskelgruppen wird die Muskelaktivität als entscheidende Messgröße betrachtet. Es ist nicht ungewöhnlich, dass in MRT-Untersuchungen auf struktureller Ebene keine Verletzungen mehr nachweisbar sind oder ein Athlet weder bei Dehnübungen noch bei Kraftausübung Schmerzen verspürt. Bisher reichten diese Tests häufig aus, um den Spieler wieder ins Mannschaftstraining zurückkehren zu lassen und anschließend im Spiel einzusetzen. Trotz solcher funktionalen Screenings treten in der Hälfte der Fälle erneute Muskelfaserrisse auf.
Eine mögliche Ursache für dieses Problem liegt in der mangelnden Integration des betroffenen Muskels in das physiologische Ansteuerungsmuster. In der Anfangsphase der Rehabilitation wird häufig das beschädigte Muskelgewebe aus einem übermäßigen Aktivitätsverhalten entfernt, um es vor Verletzungen zu bewahren. In der fortgeschrittenen Rehabilitationsphase, in der das betroffene Muskelareal stärker beansprucht wird, kann die Übungsbelastung erneut von einem kompensierenden Muskel übernommen werden. Je umfassender und ganzheitlicher der Sportler trainiert ist, desto weniger fällt diese Kompensation einzelner Muskeln auf.
Es besteht die Gefahr, dass der Spieler, wenn er wieder ins Spielgeschehen zurückkehrt, nicht sein volles Potenzial abrufen kann. Da die unterstützenden Muskeln an ihre Belastungsgrenze kommen und erneut eine Verletzung provoziert werden kann. In 75 Prozent der Fälle treten Muskelfaserrisse an derselben Stelle auf.
„Die EMG-Methode hat uns geholfen, Schwachstellen der Spieler zu definieren, auf welche sie sich im Training fokussieren können, um den Stress aus überlasteten Strukturen zu nehmen. Neuromuskuläre Dysbalancen könnten wir ohne die Hilfe der Elektromyographie nicht sehen.“ (Dr. Vitalii Kilian, Mannschaftsarzt der ukrainischen Nationalmannschaft)

STANDARD IN DER SPORTMEDIZIN

Es ist wichtig die Überwachung der Muskelaktivität nicht ausschließlich auf die subjektiven Empfindungen des Athleten zu beziehen. Bei der Behandlung von muskulären Dysbalancen, neuromuskulären Defiziten sowie der Untersuchung von Leistungseinbrüchen oder zur Verletzungsprävention sollten moderne Technologien wie EMG verwendet werden, um die Muskelaktivität als objektive Messgröße zu überwachen.
Die EMG-Technologie hat sich mittlerweile so weit entwickelt, dass sie nicht mehr ausschließlich von Experten aus der Sportmedizin und Forschung verwendet wird. Sie findet zunehmend Einzug in gängige Physiotherapiepraxen und Fitnessstudios. Auch über den Leistungssport hinaus sind messbare Dysbalancen häufig die Ursache für weit verbreitete Beschwerden wie Rückenschmerzen.

POTENZIAL FÜR ALLE LEVEL

Wie häufig ein Mensch im Alltag seine Muskeln aktiviert, spiegelt sich in der Höhe seiner maximal willkürlichen Aktivierung (MVA) wider. Wenn durch langes Sitzen wenig Muskelaktivität entsteht, kann dies in einer Muskelanalyse abgebildet werden. Der Mehrwert besteht darin, gezielte Übungen für die hypoaktive Muskulatur zusammenzustellen und den Verlauf des durchgeführten Trainings kontinuierlich zu überwachen. Dabei sollten alle grundlegenden Trainingsprinzipien berücksichtigt werden. Es besteht ein deutlicher Unterschied darin, ob Übungen gleicher Intensität mit unterschiedlichen Muskelaktivitäten ausgeführt werden.
Bewegt ein Athlet einen Widerstand von A nach B, ohne dabei eine hohe Muskelaktivität zu rekrutieren, wird er gegenüber einem Trainierenden, der dasselbe Gewicht mit hoher Muskelaktivität bewegt, unterlegen sein. Dies kann sowohl für den Trainierenden als auch für den Trainer frustrierend sein und die Motivation für ein konstantes Training beeinträchtigen. Ein hoher externer und interner Trainingsreiz ist erforderlich, um das maximale Potenzial auszuschöpfen. Das Biofeedback- Training unterstützt das Erlernen und Anwenden der optimalen muskulären Übungsausführung, bietet Trainern und Trainierenden ein objektives visuelles Kommunikationstool und fördert die langfristige Trainingsmotivation.
„Mir ist es wichtig, nicht nur mit subjektiven Eindrücken zu arbeiten, sondern auch messbare Erkenntnisse der Muskelaktivität in der Bewegung zu erhalten. Ein erster Eindruck kann schnell mit zusätzlichen Daten verglichen werden. Wichtig ist uns hierbei, kein negatives Erlebnis durch die Tests und mögliche Defizite zu erzeugen, sondern vielmehr das positive Potenzial durch den kurz-, mittel- und langfristigen Mehrwert hervorzuheben.“ (Lukas Trittel, Physiotherapeut bei Eintracht Frankfurt)


SIMON ROTH

Der Physiotherapeut und Spezialist für EMG (Elektromyographie) konzentriert sich auf die Bereiche Orthopädie, Sportmedizin und Chirurgie. In seiner Privatpraxis in Mainz betreut er professionelle Sportler und kooperiert mit Bundesliga- und Premier- League-Vereinen.
www.myoact.de


Fotos:  Björn Aßmus


Dieser Artikel ist aus der TRAINER-Ausgabe 6-2023:

 

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