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BIOHACKING VS. BIOEMPOWERMENT

BIOHACKING VS. BIOEMPOWERMENT

How to hack your life?

Wo genau fängt Biohacking an und wo kann man dessen Grenzen ziehen? Wie weit sind wir vom Quantified Self entfernt, wie stark werden Gegenströmungen, die sich rein an der Natur orientieren und Künstliches sowie Technisches ablehnen? Luise Walther und Lorraine Malessa  werfen einen differenzierten Blick auf das gehypte Thema „Biohacking“ und zeigen auf, worin die Potenziale bestehen und welche Risiken es zu bedenken gilt.

Der Begriff „Hacking“ steht für die Erweiterung von Funktionen, für eine Problemlösung oder Zielerreichung auf ungewöhnliche Art und Weise.1 Besonders getrieben durch die zunehmende Digitalisierung, scheint der Bedarf und das Interesse an Biohacking gestiegen zu sein. Herkömmliche Dinge, Funktionen und Verhaltensweisen werden durch einen Hack optimiert oder in ihrer Wirkung und ihrem Nutzen angepasst.

WAS IST BIOHACKING?

„Biohacking ist der biologische, chemische oder technische Eingriff in Organismen mit dem Ziel der Veränderung und Verbesserung“, so definiert Prof. Dr. Oliver Bendel von der Fachhochschule Nordwestschweiz FHNW, Hochschule für Wirtschaft, Institut für Wirtschaftsinformatik, Professor für Wirtschaftsinformatik, Wirtschaftsethik, Informationsethik und Maschinenethik den Begriff. Vom „Einstieg in die Leistungsoptimierung“ über „einfache Mittel für mehr Energie und Gesundheit“ bis hin zur Definition im Cambridge Dictionary als „scientific experiments with biological material, especially genes, done by people who are not official experts or scientists, either as a hobby or in order to make money or commit crime, Biohacking could be called do-it-yourself biology“ wird deutlich, dass sich aktuell noch keine klare und einheitliche Begrifflichkeit etabliert hat. Das führt dazu, dass das Thema oftmals leider auch je nach wissenschaftlichen, wirtschaftlichen oder soziokulturellen Aspekten individuell ausgelegt wird. Je nach Ausprägung und Intensität sind die Grenzen zu Human Enhancement und Transhumanismus fließend.

WARUM BIOHACKING?

Die Motivation hinter Biohacking ist häufig, den eigenen Körper, das eigene Körpergefühl, die eigene Biologie und das eigene Leben aktiv zu optimieren. Dies kann bedeuten körperliche und sinnliche Erfahrungen zu ermöglichen oder zu erweitern. Von der Einflussnahme auf Routinen und Ernährung über den Versuch, die eigene DNA zu verändern, bis hin zum Einsatz von Technik zur Steigerung der physischen und psychischen Leistungsfähigkeit – die Motivation und auch die Anwendung scheinen grenzenlos und höchst individuell. Hier liegt sowohl das Potenzial als auch das Risiko von Biohacking. Da es keine einheitliche Interpretation des Begriffs gibt und die Bandbreite der Interpretationen so groß ist, fällt auch die Abgrenzung zu unseriösen bis gefährlichen Formen schwer.
Es muss als kritisch angesehen werden, in die Biologie des Menschen einzugreifen. Sowohl aus regulatorischer Sicht, als auch aus informationsethischen Aspekten sowie pragmatischen Gründen: Können wir Menschen mit unserem heutigen Wissensstand objektiv beurteilen, was „besser“ als die Natur wäre, und sind wir in der Lage, die Konsequenzen abzuschätzen und zu tragen? Entscheidend sind auch hier die Kommunikation und der Austausch zwischen den verschiedenen Schnittstellen und Verantwortlichen.

WAS BEDEUTET BIOEMPOWERMENT?

Wir persönlich bevorzuge den Begriff „Bioempowerment“ anstelle von „Biohacking“ im Sinne des Erreichens eines Zustands der Selbstverantwortung und Selbstbestimmung in Bezug auf die eigene Gesundheit, das Wohlbefinden und die Leistungsfähigkeit.
Durch unsere Arbeit an der Schnittstelle Medizin und Fitness empfinden wir die folgenden drei Punkte entscheidend, wenn es um die individuelle Gesundheit und das Wohlbefinden geht und damit um Bioempowerment:

  1. Gesundheitskompetenz
  2. Leistungssteigerung
  3. Selbstwirksamkeit

Die „Fähigkeiten, Gesundheitsinformationen zu finden, zu verstehen, zu bewerten und für gesundheitsbezogene Entscheidungen anzuwenden“, versteht man laut Robert Koch-Institut als Gesundheitskompetenz. Dafür braucht man nicht nur das Wissen, sondern auch die Motivation und Kompetenz, sich mit der eigenen Gesundheit – von der Prävention bis hin zur Rehabilitation – auseinanderzusetzen.
Der Wunsch nach individueller Leistungssteigerung führt Menschen dazu, sich aktiv mit dem eigenen Körper auseinanderzusetzen und aktiv zu werden. Dabei gilt es, „Leistung“ in der Alltagsspezifikation der Betroffenen zu betrachten: Für einen Leistungssportler mag es da um schneller, höher und weiter gehen, für Alltagsathleten um schmerzfreie und uneingeschränkte Bewegungen oder der Ausbau der Stressregulierung und eine individuelle Work-Life-Balance.
Ein immer noch unterschätzter Einflussfaktor in diesem Zusammenhang ist die Selbstwirksamkeit, das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten. Der Begriff stammt aus der kognitiven Psychologie und bezieht sich auf „die Überzeugung einer Person, auch schwierige Situationen und Herausforderungen aus eigener Kraft erfolgreich bewältigen zu können“. Ob in der Prävention, um nicht förderliche Verhaltensweisen zu ändern, in der Therapie als Schlüsselrolle in Verhaltensänderungsprozessen oder im Sport zur Leistungssteigerung: Selbstwirksamkeit ist ein entscheidender Verhaltensparameter in Bezug auf die eigene Gesundheit und das Wohlbefinden.

WIE WIRKEN SICH AKTUELLE TRENDS AUS?

Betrachtet man die aktuelle Lage, zeichnen sich vor allem folgende drei Trends im Gesundheits- und Fitnessbereich ab:

  1. Selftracking: Der globale Fitnesstrackermarkt wird voraussichtlich wachsen; von 36,34 Mrd. $ im Jahr 2020 auf 114,36 Mrd. $ im Jahr 20288
  2. Healthy Fitness: 50 Prozent der Verbraucher kümmern sich seit der Pandemie mehr um ihr Wohlbefinden; mehr als 80 Prozent sind jeden Tag aktiv9
  3. Digital Natives: 80 Prozent der Fitnesssuchenden wollen digitale Angebote in ihren individuellen Trainingsplan integrieren10

Alle drei Bereiche spielen eine wegweisende Rolle in der zukünftigen Anwendung von Dienstleistungen und Produkten. Für viele Biohacker ist es bereits völlig normal, beispielsweise über Biomarkertests den eigenen Körper zu vermessen und personalisierte Diagnostik anzuwenden. Im Vergleich zu den USA steht Deutschland hier sicher noch am Anfang. Gerade deshalb lohnt sich die kritische Diskussion und Aufklärung, welche Potenziale und Risiken es gibt.

RISIKEN VON BIOHACKING

  • Vermarktung von Produkten und Dienstleistungen, die bestenfalls keine Wirkung zeigen und schlimmstenfalls Schaden anrichten
  • Wissenschaftlich unhaltbare Konzepte verbreiten sich über Social Media
  • Personal-Branding-Effekte überlagern Sachlichkeit und Evidenz
  • Mangelnde Aufklärung über gesundheitliche Wirkungen oder Nebenwirkungen
  • Diffuser und unregulierter Markt erschwert den Überblick über Kompetenz und Expertise
  • Selbstoptimierung wird zwanghaft und unreflektiert

Potenziale von Biohacking

  • Vertrauen in den eigenen Körper aufbauen und spüren, wie er sich anfühlt
  • Wissen und kritische Auseinandersetzung mit Gesundheit und Wohlbefinden nehmen zu
  • Gesundheitskompetenz wird gestärkt
  • Inhalte werden von Experten moderiert und eingeordnet
  • Selbstwirksamkeit steigt
  • Individualisierung von Gesundheit und Wohlbefinden nimmt zu
  • Diversifizierung des Marktes führt zur Individualisierung der Angebote
  • Reflexionsraum für eigene Gesundheit, Wohlbefinden und Leistungsfähigkeit erweitert sich

WIE KANN BIOEMPOWERMENT KONKRET AUSSEHEN?

Wenn wir Bioempowerment als die Möglichkeit zur Nutzung der eigenen Biologie, des eigenen Körpers, des eigenen physiologischen, mentalen und sozialen Potenzials verstehen, eröffnen sich ganz neue Perspektiven, um die körperliche Leistungsfähigkeit ganzheitlich zu betrachten. In gewisser Weise ist Biohacking für uns der Blick durch die Lupe bis ins kleinste Detail. Wir sind jedoch der Meinung, dass den meisten Menschen zunächst der Blick auf die Gesamtheit des eigenen Körpers helfen würde, um Gesundheitskompetenz, Leistungsfähigkeit und Selbstwirksamkeit zu ermöglichen und somit Bioempowerment erlebbar zu machen.

BIOEMPOWERMENT DURCH RYTHMISCHES ATMEN

In seinem TedTalk „Be Brilliant Every Single Day“ spricht der Neurowissenschaftler Alan Watkins über bestimmte Atemtechniken, die unseren Alltag verändern können. Er erklärt, wie Atemtechniken auf physiologischer Ebene funktionieren und wie sie unsere Gefühle und daraus resultierend unsere Gedanken und unser Verhalten beeinflussen. Wenn wir unsere Leistung verbessern wollen, müssen wir uns mit unserem Verhalten auseinandersetzen. Um einen anderen Output zu erreichen, müssen wir den Input verändern. Unser Verhalten wird von unseren Gedanken und Gefühlen bestimmt, die wiederum von unseren Emotionen beeinflusst werden. Emotionen und Gefühle werden oft synonym betrachtet, dabei sind Emotionen Reaktionen auf unsere Physiologie. Sie sind Energien, die durch unseren Körper fließen. Man kann sich dies wie eine Datenübertragung zwischen der körperlichen Ebene und dem Gehirn vorstellen. Emotionen machen diese Energien dann erfahr- und wahrnehmbar. Das Problem ist jedoch, dass sich viele Menschen dieser Energien nicht bewusst sind oder sie nicht zuordnen können, da es in unserer Gesellschaft und unserem hektischen Alltag selten möglich ist, sich damit zu beschäftigen. Aus diesem Grund ist es wichtig, Achtsamkeit in den Alltag zu integrieren und einen „Check-in“ auf physiologischer Ebene durchzuführen; dadurch wird die Physiologie leichter wahrnehmbar und sogar kontrollierbar.
Watkins weist darauf hin, dass es zwölf verschiedene Möglichkeiten gibt, die Atmung zu beeinflussen. In seinem o. g. TedTalk konzentriert er sich jedoch auf die drei für ihn wichtigsten: rhythmische und gleichmäßige Atmung und Konzentration auf die Mitte des Brustkorbs während der Atmung. Eine gleichmäßige Atmung ist wichtig, um unsere Herzfrequenzvariabilität zu stabilisieren und damit auszugleichen. Dabei ist nicht bedeutsam, wie lange die Atemzüge sind, solange sie rhythmisch sind, z. B. immer vier Sekunden einatmen und immer vier Sekunden ausatmen. Wichtig ist, dass der Atemrhythmus beibehalten wird. Dadurch wird die Herzfrequenzvariabilität gleichmäßiger, dem Gehirn wird signalisiert, dass alles in Ordnung ist, und wir beruhigen uns. Die Konzentration auf den Herzbereich während der Atmung ist interessant, da das Herz mehr elektrische Impulse erzeugt als jeder andere Teil unseres Systems und positive Gefühle meist im Herzbereich wahrgenommen werden. Wenn wir uns auf diesen Bereich konzentrieren, stellen wir unser System automatisch positiver ein, da positive Gefühle in diesem Bereich vorherrschen. Wenn wir also unsere Aufmerksamkeit auf positivere Dinge richten, bleibt weniger Aufmerksamkeit für die negativeren Dinge im Leben übrig. Du gestaltest deine Realität, indem du deine Wahrnehmung lenkst.

FAZIT

Es gilt daher, pauschale Empfehlungen kritisch zu hinterfragen und sich auf die individuelle Leistungsfähigkeit, die Entwicklung der eigenen Gesundheitskompetenz zu konzentrieren und die gesundheitsbezogene Selbstwirksamkeit zu stärken. Dazu benötigen wir weniger Ego und Arroganz in der Branche und mehr Kommunikation miteinander statt übereinander denn inmitten des Booms bleiben Inklusion und breite Zugänglichkeit wichtige Themen und Kritikpunkte der Bewegung. Und das geht, nur mit Mut und Neugier: Mut, gewohnte Pfade zu verlassen, und Neugier, Neues zu wagen. Ob die morgendliche kalte Dusche, die saisonale und regionale Ernährung und die täglichen Atemimpulse im Rahmen des neurozentrierten Trainings dann als „Biohacking“ oder „Bioempowerment“ gelten, bleibt letztlich jedem selbst überlassen. Was die Digitalisierung auf der einen Seite schaffen kann, wird auf der analogen Seite als personalisierte Expertendienstleistung gefragt sein. Hier eine Brücke zu schlagen und abzuwägen, wie eine vielfältige Zielgruppe angesprochen werden kann, wird eine der Herausforderungen sein. Man darf also gespannt sein, welche Trends die zunehmende Digitalisierung, die Technologisierung, die Verfügbarkeit von Daten, das steigende Bewusstsein für Gesundheit und Wohlbefinden sowie hybride Modelle in Zukunft noch hervorbringen werden.

 


LUISE WALTHER
Die Berliner Personal Trainerin arbeitet an der Schnittstelle zwischen Medizin und Fitness. Ihr Schwerpunkt liegt auf der Individualisierung und Professionalisierung von Reha- und Trainingsprozessen mit Fokus auf Schmerzreduzierung und Bewegungsoptimierung ihrer Kunden.
www.neurozentriertes- training.de

LORRAINE MALESSA
ist Studentin der Wirtschaftspsychologie und Auszubildende für ganzheitliche Gesundheit.

 


Fotos: Fantastic – stock.adobe.com


Dieser Artikel ist aus der TRAINER-Ausgabe 4-2023:

 

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