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Gestatten – Mediale Schulterblattmuskulatur

Gestatten – Mediale Schulterblattmuskulatur

In dieser Folge nimmt uns Nici Mende mit auf ihre anatomische Reise zu den noch unbeschriebenen Muskeln unseres Schulterblatts. Was Sägezahn- und Rautenmuskel gesund erhält, erfährst Du in diesem Artikel.

Mit dem „Schulterblattheber“ startet unsere letzte Reise zu den Muskeln des Schulterblatts. Der M. levator scapulae zieht, von den 1.–4. Querfortsätzen der Halswirbelkörper (Proc. transversarii) kommend, steil abwärts zum oberen Schulterblattwinkel (Angulus superior) bis knapp über die Basis der Schulterblattgräte (Spina scapulae). Dieser steile Faserverlauf ermöglicht die Funktion des Schulterblatthebens (Elevation) aus verschiedenen Schulterblattpositionen. Zudem wird das Rotieren des unteren Schulterblattwinkels nach innen unterstützt. Ihr seht einen deutlichen Antagonisten zu den Mm. infraspinatus, teres major, teres minor und subscapularis. Der Schulterblattheber kann hier natürlich nicht allein der Gegenspieler sein. Synergistische Partner sind u. a. Mm. rhomboidei.

M. RHOMBOIDEUS MINOR

Eine Etage weiter in Richtung Steißbein (kaudal) entspringt der „kleine Rautenmuskel“ an den Dornfortsätzen der Halswirbel (C6 und C7). Er verankert sich mit Faseranteilen im „Nackenband“ (Ligamentum nuchae) und gleicht teilweise einer Aponeurose, denn diese Struktur ist mit unzähligen Sehnenfasern des M. trapezius durchzogen. Dies sichert u. a. die optimale Kraftübertragung und wirkt als mechanischer Stabilisator vom Hinterhaupt (Os occipitale) über die gesamte Halswirbelsäule. In diesem „Nackenband“ findet sich ein Teilursprung des M. rhomboideus minor. Ihr erkennt sicher die enge myofasziale Beziehung nicht nur zum Trapezius – auch die tieferen Rückenstrecker stehen damit in Verbindung. Von diesem Ursprung verläuft der kleine Rautenmuskel parallel zum M. rhomboideus major zu seinem Ansatz am medialen Schulterblattrand (Margo medialis) auf Höhe der Basis der Schulterblattgräte (Spina scapulae).

M. RHOMBOIDEUS MAJOR

Der Ursprung des „großen Rautenmuskels“ wird je nach Literatur den Dornfortsätzen Th1–Th4 (ggf. Th2–Th5) der Brustwirbelsäule und dem Nackenband zugeordnet. Dieser Tatbestand findet sich tatsächlich in den individuellen 3 menschlichen Gegebenheiten wieder. Kein Mensch gleicht zu 100 Prozent dem anderen. Einige Fasern entspringen dem straffen „Dornfortsatzband“, dem Ligamentum supraspinale. Die Muskelfasern ziehen schräg abwärts zum medialen Rand des Schulterblatts (Margo medialis). Diesen Rand nutzt der große Rautenmuskel etwa ab Höhe der Schulterblattgräte (Spina scapulae) bis zum unteren Winkel (Angulus inferior) als Ansatzpunkte am passiven Bewegungsapparat. Die Funktion der Mm. rhomboidei besteht in einer Fixierung der Schulterblätter an der Wirbelsäule. Besser verständlich scheint die Positionierung der Schulterblätter, denn die Fixierung ist keinesfalls starr und steif, sondern führend und in entsprechendem Umfang mobil. So sorgen die Rautenmuskeln für das Heranführen (Adduzieren) der Schulterblätter zur Wirbelsäule. Genauso unterstützen sie die Armrückführung des gehobenen Arms in seine Neutral- Null-Stellung, wenn nicht die Schwerkraft diese Leistung übernimmt.

ANSTEUERUNGSPROBLEMATIK

Sitzen seine Fasern fest, weil z. B. ein gleitunterstützendes und zugleich gut angesteuertes kräftigendes Training fehlt, können die zwei Rautenmuskeln für unangenehme Schmerzen im oberen und unteren Rücken sorgen. Eine gute Ansteuerung beim Schulter- und BWS-Training kann dieses Problem verhindern. Auch Nackenprobleme werden oft durch Defizite im großen Rautenmuskel verursacht.

LIGAMENTA SUPRASPINALE & NUCHAE

Die Wirbelsäule wird von starken, faserreichen Bändern verspannt, die für eine sichere Führung der Wirbelsäule sorgen. Diese Verspannung verhindert ihre übermäßige, schadhafte Beugung. Sie ziehen, wiederholend, je nach Tiefe, über zwei bis vier Dornfortsätze und wirken quasi als eine von mehreren mechanischen Bremskordeln unserer Wirbelsäule. Im Bereich der Halswirbelsäule kennt ihr bereits das „Nackenband“ (Ligamentum nuchae). Es wird diskutiert, ob dieses Lig. nuchae tatsächlich als Band benannt werden darf, da ihm klassische bandhafte Eigenschaften fehlen: Es verbindet oberflächlich keine Knochen, weist keine typische Bandstruktur auf und lässt sich nicht deutlich von der oberflächlichen Faszie (Fascia superficialis) trennen (Gray‘s Anatomie, 2008). Ab dem 7. Halswirbel spannt sich das kollagene „Dornfortsatzband“ bis zum Kreuzbein. Es ist so stark und fest, dass sich an den Berührungspunkten zu den Dornfortsätzen ein druckfester Faserknorpel befindet. Nicht nur das, natürlich vernetzt sich dieses kollagene Band auf seinem langen Weg mit vielen verschiedenen Faserzügen benachbarter Faszien und Myofaszien (u. a. Fascia thoracolumbalis und kopfwärts in das Lig. nuchae). Unabhängig von Nomenklatur und Anatomie: Diese Struktur braucht Neigungs- und Rotationsbewegungen – wechselnde, moderate Zugbe- und -entlastungen, um die gesunde Beschaffenheit dieses Band- und Fasziensystems rund um die Wirbelsäule zu erhalten.

FASZIALE PROBLEMATIK

Bleibt ein ausgeglichener Faserstoffwechsel am Bandapparat der Wirbelsäule aus, werden alte, spröde Faserverbindungen nicht abgebaut. Das System unterliegt einer faserigen „Steifheit“ (Stiffness), auch oft „Filz“ genannt. Die Faserbeschaffenheit wirkt durch diese eingelagerten Altlasten rau und belastet die umliegenden freien Nervenendigungen und Nervenbahnen; unsere Schmerzmelder werden aktiv. Die Nervenbahnbeeinträchtigung kann zu ausstrahlenden Schmerzverläufen und Irritationen gleich einer Bandscheibenproblematik führen.

M. SERRATUS ANTERIOR

Der Name ist hier Programm, denn der „vordere Sägemuskel“ gleicht optisch einer zackenreichen Säge. Die Zacken oder Zähne sind neun schlanke Muskelbäuche, die von der seitlichen Rippe zum medialen rippenseitigen Schulterblattrand führen. Die gängige Literatur beschreibt einen gemeinsamen Ursprung von der 1. zur 9. Rippe. Genau betrachtet, wäre eine Unterteilung schon am Ursprung sinnvoll. Bei genauem Hinsehen erkennt man bereits hier klare Abgrenzungen. Der obere (kopfnahe) Anteil (Pars superior) verläuft von der 1. und 2. Rippe zum oberen Schulterblattwinkel (Angulus superior). Der mittlere Anteil (Pars intermedia oder Pars divergens) führt von der 2. und 3. Rippe zum medialen Schulterblattrand (Margo medialis). Der größte Anteil (Pars inferior oder auch Pars convergens) erstreckt sich von der 4. bis zur 9. Rippe zum inneren, medialen Rand und dem unteren Winkel des Schulterblatts (Margo medialis und Angulus inferior). Dieser Part ist der gut sichtbare, ansprechend aussehende Muskel, wenn er entsprechend trainiert wird. Der M. serratus anterior verbindet sich an seinem Ansatzort direkt mit dem M. subscapularis.

SCHULTERBLATT-THORAX-GELENK

Diese pseudogelenkige Verbindung lässt sich mit der Vertikalklappschutzhülle eines Handys vergleichen: Der leicht bewegliche Verbindungsfalz zwischen Deckel und Telefon stellt die Art der Bindung der beschriebenen Muskelhüllen dar. Sie dient als Gleitlager und wichtiger Fixpunkt der Scapula an den Rippen. Diese Verbindung wird als Schulterblatt- Thorax-Gelenk bezeichnet. Natürlich kann man das Schulterblatt nicht einfach aufklappen, aber am Beispiel von Deckel und Telefon sind die Bewegungsachsen deutlich erkennbar. Damit in diesem engen Raum zwischen Schulterblatt und Rippen ein geschmeidiges Gleiten funktioniert, befindet sich eine weitere Faszienschicht zwischen den ortsansässigen Muskelhüllen. Wird der Serratus zu stark trainiert, verengt er den subscapulären Raum und beeinträchtigt die Gleitfähigkeit und somit die Mobilität des Schulterblatts. Eine funktionelle Trainingssteuerung und eine gezielte Atemtechnik (z. B. Atmung mit optimaler Brustkorbamplitude) können hier Schmerzen vorbeugen.

AUFGABEN DES SERRATUS ANTERIOR

Seine Hauptaufgabe besteht darin, das Schulterblatt am Körper zu fixieren. Tatsächlich dient er hier als Hauptakteur. Eine Schwäche oder eine fehlende Ansteuerung zeigt sich in flügelartig abstehenden Schulterblattspitzen (Spina alata) in der Körper-Grundposition. Diese können mitunter auch einer Deformierung des Brustkorbs zugeordnet werden. Zurück zu den Aufgaben: Der vordere Sägemuskel gehört zu den Atemhilfsmuskeln (Expirationsfunktion) und erhielt mit den Anteilen „Pars divergens“ und „convergens“ definitive Funktionsnamen. Sie bedeuten „schielen nach außen bzw. innen“ und stellen offensichtlich die Schulterblattposition bei der jeweiligen Muskelaktivität dar. Richtig, diese zwei Anteile sind in ihrer Funktion Kontrahenten (Antagonisten). Während der „Pars divergens“ den Schulterblattwinkel auswärtsdrehend unterstützt und so das Heben des Arms über 90° ermöglicht, bewirkt der „Pars convergens“ das Gegenteil. Bei der Armrückführung stehend übernimmt die Schwerkraft diese Arbeit.

M. OMOHYOIDEUS

Der Schulter-Zungenbein-Muskel zieht zweibäuchig vom Schulterblattrand zum Zungenbein. Ich erwähne ihn hier, da seine Hauptfunktion in der Straffung der Halsfaszie liegt. Diese Funktion ist sehr wichtig, denn er hält den Blutfluss der hier entlangführenden Vene (Vena jugularis interna) offen. Wird diese gestaut, kann es zu Kopf-, Gesichts- oder Hals-/Nackenschmerzen kommen. Daher ist es sinnvoll, Kiefer- und Zungenbewegungen ins Training zu integrieren.

KNIRSCHENDE GERÄUSCHE

Der bereits beschriebene „Filz“ der myofaszialen Strukturen stellt eine schleichende Überlastung des Systems dar. Häufig hört man knirschende Geräusche bei der Schulterblattbewegung, die sich durch verschiedene Bewegungsvarianten bzw. Stoffwechselübungen lindern lassen. Wird dieses akustische Signal ignoriert, stellen sich bei monotonen Sport- und Arbeitshaltungen mit innenrotiertem Oberkörper über die Zeit oft Schmerzen im Brustwirbelbereich ein. Sie treten meist als schwer zu lindernde Ruheschmerzen auf, die infarktbedingten Schmerzen gleichen und mit Atemnot verbunden sein können. Durch regelmäßige Bewegungspausen (aufrichtende Schultergürtelbewegungen mit Kopf- und Kieferspielereien) oder sauber ausgeführtes Nordic Walking/Walking mit wechselnder Bewegungsführung aus dem Schultergürtel kann dieser Problematik entgegengewirkt oder ihr vorgebeugt werden.

TRAINING

In den bisherigen Folgen von „Gestatten“ hast du bereits viele Trainingsmöglichkeiten für die schulterblattführende Muskulatur kennengelernt. Meine Übungsauswahl fokussiert sich auf die muskuläre Stabilisation und die Ansteuerung. Drei Übungen zur myofaszialen Mobilisation mit Cupping findet ihr unter www.trainer- magazine.com/Gestatten.

AUSBLICK

Nun haben wir das Schulterblatt lange genug unter die Lupe genommen – es wird Zeit, dass wir uns einmal um eine tieferliegende Region kümmern. In der nächsten Folge von „Gestatten“ lernst du die Anatomie und Funktionsweise des Zwerchfells und seinen Einfluss auf die Atmung kennen.

 


NICI MENDE

TÜV-zertifizierte Personal Trainerin, Dipl.-Trainerin med. Fitness, Adv. Trainerin Fascial Finess. Die Autorin von „Schmerzfrei bewegen“ ist u. a. Ausbilderin beim Glucker- Kolleg Stuttgart, Konzeptentwicklerin von „Fascial Coach“, „Rückenfrei“ und „Sensobility“ und Entwicklerin des FASCIAL COACH deepRING.
www.fascial-coach.de

 


„Die komplette Ausgabe findest Du hier

Foto: Fascial Coach.de

 

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