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Neuroaktivierungen im Krafttraining

Neuroaktivierungen im Krafttraining

Mehr Leistung durch gezielte Aktivierungen |

Martina Barth beschreibt anhand von drei Hauptübungen, wie sich Ansätze aus der Neuroathletik effektiv mit Krafttraining verbinden lassen

Die Maxime vieler Kraftsportler „Viel hilft viel“ gilt aus neurologischer Sicht nicht, denn große Muskeln bedeuten nicht automatisch, dass das Gehirn auch zielgerichtet darauf zugreifen und die Muskulatur effizient einsetzen kann. Wenn ein Athlet beispielsweise ein dominantes Flexions- oder Extensionsmuster aufweist, können im Training Bewegungs- und Krafteinschränkungen auftreten, die durch gezielte Aktivierungen behoben werden können. Das Ziel ist, das Gehirn mit vielen genauen Informationen zu versorgen, damit es adäquat reagieren kann und nicht aufgrund einer Schutzreaktion die Bewegung limitiert. Wie intensiv das Tonusmuster der Extensoren und der Flexoren jeweils ausfällt, wird vom Hirnstamm moduliert. Dieser bildet die Schlüsselstelle zwischen Rückenmark und Gehirn und ist in drei Bereiche unterteilt: das Mittelhirn (Mesencephalon), die Pons und die Medulla oblongata. Von den zwölf existierenden Hirnnervenpaaren liegen zehn im Hirnstamm. Durch die Regulierung autonomer Prozesse wie z. B. Blutdruck und Herzrate bildet er sozusagen den Gatekeeper für den Cortex. Sowohl sensorische als auch motorische Informationen werden im Hirnstamm gescannt und an das restliche Gehirn weitergeleitet. Die Hirnnerven spielen eine große Rolle, wenn es um Somatosensorik, Propriozeption, Sehvermögen, Gehör, Geschmack, Gleichgewicht und Gehör geht.

DIE HIRNNERVEN – EXTRA AKTIVIERUNG IM HIRNSTAMM

Um nun das Krafttraining durch Aktivierungen im Hirnstamm positiv zu beeinflussen, gilt es, die analysierte Bewegung mit den richtigen Hirnnerven zu kombinieren. Vereinfacht kann man sagen, dass das Mittelhirn und die Medulla für die Flexoren zuständig sind – die Pons moduliert hingegen die Extensoren im Körper.

ÜBUNGEN AUS DEM KRAFTTRAINING

Anhand von drei klassischen Übungen aus dem Krafttraining analysiere ich die Bewegungsphasen und zeige mögliche Aktivierungen über die Hirnnerven auf. Diese Methode dient hauptsächlich der Technik- und Ausführungsverbesserung. Die Übungen können dabei kurz vor dem Training oder ggf. auch während des Trainings absolviert werden. Ein isoliertes Aktivieren, ohne einen entsprechenden Muskelreiz damit zu kombinieren, ersetzt kein Krafttraining im Sinne der Trainingsprinzipien.
Um das Training hinsichtlich Technik und Kraftleistung zu optimieren, geht es zunächst darum, die zu verbessernde Bewegung zu analysieren und sie gegebenenfalls in Bewegungsphasen zu unterteilen. Handelt es sich bei dem zu optimierenden Bewegungsmuster um eine Extension oder eine Flexion? Geht es darum, die exzentrische oder die konzentrische Bewegungsphase zu optimieren?
In der Trainingspraxis sollte man zunächst einzelne Hirnnerven testen und mit der jeweiligen Kraftübung retesten, um zu sehen, wie das Nervensystem reagierte. Im besten Fall reagierte es positiv, sprich die Bewegung ist im Retest besser. Als nächsten Schritt kann man dann einzelne Hirnnerven miteinander stacken – also kombinieren. Es gilt jedoch der Grundsatz, die minimalste effektive Dosis zu finden, denn nicht jedes Nervensystem reagiert identisch auf einen bestimmten Reiz. Es ist durchaus möglich, dass der gewünschte Effekt aufgrund einer zu geringen oder zu hohen Intensität an Aktivierung ausbleibt.

Folgende Übungen sprechen die Extensoren via Pons an:

  • Hirnnerv 5: Beißen (z. B. auf ein Holzstäbchen)
  • Hirnnerv 6: Blickfixierung außen
  • Hirnnerv 7: Mimik/Lächeln/Stirnrunzeln
  • Hirnnerv 8: Vestibuläre Aktivierung via Gleichgewichtssysteme

Dabei sollte vorab analysiert werden, ob eine Dysbalance zwischen der rechten und der linken Körperseite bezüglich der Extensoren vorliegt. Körperhaltung, Bewegungsausführung und Kraftverhältnis im Vergleich sind hier beispielhafte Erkennungsmerkmale. Angenommen, die rechte Seite arbeitet defizitär, dann kann man durch eine unilaterale Ausführung der oben genannten Punkte oder mit einer Kombination daraus die rechten Extensoren aktivieren, um den Deadlift oder andere Streckbewegungsmuster zu optimieren. Beispielhaft wird auf dem Bild eine Kombinationsmöglichkeit gezeigt, bei der auf ein Holzstäbchen auf der rechten Gebisshälfte gebissen wird. Gleichzeitig wird eine Blickfixierung nach rechts außen bei gerader Kopfposition durchgeführt und auf die Erhöhung des Muskeltonus der rechten Gesichtshälfte via Mimik geachtet.


DEADLIFT

A: Aktivierung der Bons Kombinationsmöglichkeit: Beißen und Mimik auf der rechten Seite, Blick geht nach rechts.

A: Aktivierung der Pons Kombinationsmöglichkeit: Beißen und Mimik auf der rechten Seite, Blick geht nach rechts.

B: Vertikale Augenfolgebewegungen Augenfolgebewegung mit einem visuellen Ziel von oben nach unten bei gleichbleibender Kopfposition.


SQUAT

Ähnlich wie beim Deadlift, werden bei der Kniebeuge ebenfalls große Teile der Muskulatur beansprucht. Um aber einen optimalen Trainingsreiz zu setzen, ist es entscheidend, eine tiefe Kniebeuge ausführen und kontrollieren zu können. Anders als beim Deadlift wollen wir uns nun einer exzentrischen Phase widmen und die Areale im Hirnstamm aktivieren, die die Flexionsmuster unterstützen, um eine tiefe Position während der Kniebeuge kontrollieren zu können. Wie oben beschrieben, gilt grundsätzlich der Hinweis, etwaige Dysbalancen im Bewegungsapparat zu analysieren und die Aktivierungen entsprechend unilateral auszuführen, um gezielt an der Schwachstelle im System, an der Bewegungsausführung und an der Technik zu arbeiten. In diesem Beispiel nehmen wir jedoch an, dass sich der Athlet im Allgemeinen mit einer tiefen Kniebeuge schwertut und es sich um kein einseitiges beugedefizitäres Muster handelt.

FLEXORENAKTIVIERUNG

Möglichkeiten, die Flexoren via Mittelhirn anzusprechen, sind folgende Übungen:

  • Hirnnerv 3: Vergenz auf Augenhöhe via Pencil Push ups, Pupillenkontraktion via Licht, Akkommodation via Nah-Fern-Blicksprüngen;
  • Hirnnerv 4: Vergenz auf Nasenspitzenhöhe. Folgende Übungen sprechen die Flexoren via Medulla an:
  • Hirnnerv 9: Schlucken oder Gurgeln
  • Hirnnerv 10: Vagusaktivierungen/parasympathisches Nervensystem via Kehlkopf, Rachen (z. B. Summen)
  • Hirnnerv 11: Sternocleidomastoideus- und Trapeziusmuskel- Kontraktion
  • Hirnnerv 12: Zungenkreisen

In der Trainingspraxis ist es wiederum sinnvoll, die Kniebeuge vorab ohne jegliche Aktivierungen zu testen, um im Anschluss mit einem Retest zu prüfen, ob die jeweilige Maßnahme beim jeweiligen Nervensystem für einen positiven Output gesorgt hat. Um also im besten Fall tiefer in die Kniebeugeposition zu kommen, kann der Athlet Pencil Push ups ausführen, das heißt, ein visuelles Ziel wird zu den Augen hin- und wegbewegt, wobei die Augen das visuelle Ziel ständig fixieren. Je nach Höhe gehen dabei die Augen nach innen oder nach innen-unten. Entsprechend wird insbesondere der Hirnnerv 3 oder 4 aktiviert. Alternativ kann man die Augenlinse durch Akkommodation ansprechen. Im Bild zu sehen sind Nah-Fern- Blicksprünge. Der Athlet soll mit seinen Augen abwechselnd zwischen einem nahen und einem fernen visuellen Ziel wechseln. Dabei sorgen die Ziliarmuskeln für scharfes Sehen.


SQUAT

A: Aktivierung des Mittelhirns durch Nah-Fern-Blicksprünge Blicksprünge zwischen einem nahen und einem fernen visuellen Ziel, abwechselnd das jeweilige Ziel mit den Augen fixieren.

B: Aktivierung des Medulla Kombinationsmöglichkeiten: Summen aus dem Kehlkopfbereich mit gleichzeitigem intensiven Zungenkreisen.


BESSERE DURCHBLUTUNG DER MEDULLA

Um speziell die Medulla besser zu durchbluten, kann der Athlet vor beugedominanten Bewegungsmustern mit einer Flüssigkeit gurgeln und dabei aus dem Kehlkopfbereich summen. Intensives Zungenkreisen feuert ebenfalls in den untersten Teil des Hirnstamms und kann dabei helfen, den Muskeltonus für die Beugeposition zu begünstigen. Natürlich können Übungen, die zur Aktivierung des Mittelhirns und der Medulla dienen, auch miteinander kombiniert werden. Es bietet sich z. B. an, das Zungenkreisen mit den Pencil Push ups zu verbinden. Weitere Stacking-Möglichkeiten für mehr Flexorenaktivität sind horizontale Blicksprünge, das Orten von akustischen Signalen und das periphere Sehen. Diese Fähigkeiten werden ebenfalls im Mittelhirn verarbeitet.

VISUELLE REFLEXE

Ein weiteres Tool, das im Krafttraining für einen positiven Output genutzt werden kann, sind die visuellen Reflexe. Hier geht es darum, kurz vor oder während einer Bewegung eine bestimmte Augenposition einzunehmen, um die Haltung und die Bewegung des Körpers zu optimieren. Aktivierung des Pons: Sakkaden nach oben; Aktivierung der Medulla: Sakkaden nach unten.


KLIMMZUG

A: Der Klimmzug lässt sich während der konzentrischen Bewegungsphase in zwei Abschnitte unterteilen. In der ersten Phase dominiert die Extension der Schulter. Der Klimmzug kann also mit einem Blick nach oben gestartet werden um den ersten Teil der Bewegung optimal einzuleiten.

B: Sobald man im Bewegungsmuster an den Punkt kommt, in dem verstärkt die Ellenbogen gebeugt werden, empfiehlt es sich, den Blick nach unten zu wechseln, um die Flexoren zu unterstützen und in Folge dessen besser und leichter in die Endposition nach oben zu kommen.


FAZIT

Die Integration der Hirnnerven zur Optimierung von Bewegungsabläufen sollte niemals wahllos erfolgen und ist bezüglich eines Trainingsfortschritts, wie eingangs beschrieben, kein Ersatz für Krafttraining mit entsprechender Progression. Wenn man aber berücksichtigt, dass jede Bewegung ihren Ursprung im Gehirn findet, kann es sehr sinnvoll sein, gezielte Aktivierungen einzusetzen, um auch die letzten Prozent an Leistungspotenzial herauszuholen – insbesondere dann, wenn Dysbalancen oder Leistungseinbußen vorliegen. Die Integration von derartigen Übungen sollte immer mithilfe eines Neuro-Assessments stattfinden, um zu überprüfen, ob das Nervensystem mit der jeweiligen Maßnahme zur Aktivierung positiv, neutral oder negativ reagiert.

Foto: kaedeezign – stock.adobe.com


Autorenbild-Martina-Barth

MARTINA BARTH

Die Sportwissenschaftlerin B. A. und Z-Health-Absolventin arbeitet als Neuroathletik- Personal-Trainerin im Bereich Schmerzreduktion und Leistungssteigerung.
www.martinabarth-personaltraining.de


Fotos: kaedeezign – stock.adobe.com, kaedeezign – stock.adobe.com


Dieser Artikel ist aus der TRAINER-Ausgabe 5-2022:

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